crush

Crush Edith Scob

Von Hans Schifferle

Les Yeux sans visage

© Criterion Collection

 

Der Driver als Inbegriff des Cool. Das ist nicht Ryan Gosling, das ist nicht Ryan O’Neal. Das ist eine Frau, von der es heißt, dass sie schon über 70 Jahre alt sei. Sie ist ganz in Weiß gekleidet, so schneeweiß wie die riesige Limousine, die durch Paris steuert. Sie ist schlank, sie wirkt edel, zeitlos, ungewöhnlich, außergewöhnlich. Wenn Gott oder das Schicksal eine Sekretärin haben, dann ist sie es: die wunderbare und wunderliche Céline, die Monsieur Oscar die Autotür öffnet zu einem irrwitzigen Paris-Trip in Holy Motors von Leos Carax. Gespielt wird diese Céline von Edith Scob, die nie ein richtiger Star war im französischen Kino, aber bis heute viel mehr ist als das: nämliche eine beinahe mythische Kinofrau, eine Seiltänzerin zwischen Traum und Wirklichkeit, wie dies vielleicht nur noch Fay Wray und Barbara Steele waren. Am Ende von Holy Motors setzt sie geheimnisvoll und mit Stolz eine Maske auf, die sie schon einmal getragen hat, vor über 50 Jahren, in Georges Franjus Horrorfilm Les Yeux sans Visage. Revivre … Es war ihre erste große Rolle und wer sie gesehen hat als Christiane Genessier, Monster und Opfer zugleich, engelhaft und versehrt, dem hat sie einen Stich im Herzen versetzt für alle Zeiten. Augen ohne Gesicht. Seit einem Autounfall, den ihr übermächtiger Vater, ein berühmter Chirurg, verursacht hat, muss sie eine Maske über dem enststellten Gesicht tragen, wie bei einem traurigen venezianischen Karneval. Der selbstherrliche Vater versucht nun ihr Antlitz wiederherzustellen: indem er Studentinnen in seine Villa lockt, ihnen buchstäblich das Gesicht raubt und das Gewebe auf Christianes offene Wunden zu übertragen versucht. Am Ende rebelliert die sensible Tochter, eine wahre Ophelia der Beat Generation, gegen ihren Vater, den letzten Frankenstein der Moderne. Natürlich ist Edith Scob als Christiane, wie sie mit der Maske und einem bizarren Plastikmantel bekleidet durch die Schreckens-Katakomben des väterlichen Anwesens streift, auch ein ultimatives Fetisch-Model, eine Fetisch-Rebellin, die ihre gewöhnliche Haut längst abgelegt hat.

Edith Scob hat auf verstörend poetische Weise Franjus Kino verkörpert, das immer vom Feuer in einer sachlich kalten Welt handelt. In ihrer langen Karriere hat sie bei Cayatte und Duvivier, bei Buñuel und Gobbi, bei Gans und Assayas Schönheit dargestellt: die wahnsinnige, fragile, verfallende, dunkel-ironische Seite der Schönheit. Jetzt bei Carax darf sie auch stark und sexy und unendlich mysteriös sein mit ihrem außerirdischen Gesicht, ganz im Sinne von Franjus Cool World-Expressionismus, ganz im Sinne der leidenschaftlichen Filmelegien gegen die Unmenschlichkeit.