editorial

Communitas

Liebe Leserin, lieber Leser,

Die politische Stimmung der Gegenwart findet sich vielleicht in keinem aktuellen Kunstwerk so gut begriffen wie in der Videoinstallation Communitas von Aernout Mik, in der eine offene Gemeinschaft in einem geschlossenen Raum bei scheinbar nicht enden wollenden (und könnenden) Aushandlungsprozessen beobachtet wird. Reden schwingen, Aufmärsche halten, Abstimmungen organisieren; Manifestieren, Protestieren, Agitieren, und das alles in einer Situation, die der belgische Videokünstler aller konkreten Hinweiszeichen entleert. Das Politische wird hier auf seinen reinen Gestus reduziert; es fehlt, wie man es auch linken Bewegungen zur Zeit immer wieder vorwirft, ein Inhalt, der nicht bloß Verfahrensweise ist. Der Leerlauf von (sprechenden, aber stumm geschalteten) Körpern im Raum, wie Mik ihn auf drei Flügeln inszeniert, ist ein prekäres Sinnbild für die Spannung zwischen Teilhabe und Ohnmacht, wie sie in den hochtechnisierten Mediengesellschaften vielfach erlebt wird.

Ob darin auch schon jene «Digitalisierung als totalitäre Herrschaft» erkennbar wird, von der Helmut Färber in seinem Beitrag über Raymond Bellours Buch Le Corps du cinéma schreibt, muss offen bleiben. Färber jedenfalls schickt seine Texte mit der Post; er verfasst sie mit Schreibmaschine, die Kommunikation mit ihm verläuft analog. Aus seinen Seminaren an verschiedenen Filmhochschulen wird immer wieder überliefert, wie sehr er bei der Analyse auf den Widerstand des Materials setzt – auf Zurückspulen, Wiederholen, Neubetrachtung. Darin wird eine ähnliche Dauer der Auseinandersetzung erkennbar wie in Communitas: eine produktive Langwierigkeit. Die Künstlerin Tacita Dean, mit der wir für ein kleines Interview-Dossier zu Fragen des Analogen / Digitalen gesprochen haben, verweist ausdrücklich auf dieselben Qualitäten von Film, die Färber in seinen Seminaren hochhält.

Auch wenn die nächste Revolution vielleicht tatsächlich bloß eine der Resolution (also der Datenmengen) sein wird, gibt es in unserem aktuellen Heft doch zahlreiche Figuren des «Widerstands», die diese falsche Alternative sprengen: von dem «Idiot Brother», den Paul Rudd mit extremistischer Grundfreundlichkeit spielt, über die Auteurs des Cinéma beur in Frankreich bis zu einer historischen Figur wie Antonin Artaud, dessen Schriften zum Kino erstmals in einer soliden Edition vorliegen.