routine pleasures

Fernsehen

Von Christiane Rösinger

Das Fernsehen ist aus der Mode gekommen, man muss sich direkt verteidigen, wenn man immer noch gerne fern sieht. Freunde haben den Fernseher längst in den Keller gestellt, haben Besseres mit ihrer Zeit zu tun, lesen, dichten lieber abends am Schreibtisch. Neben den bildungbürgerlichen Fernsehverächtern gibt es noch die smarten Fern-Seher, jene, die sich hin und wieder einen Tatort oder ein Trasherlebnis mit Wetten, dass … ? erlauben, sich aber lieber über West WingBig Love und Mad Men austauschen. ­Amerikanische  Fernsehserien, die man sich erst mühevoll runterladen oder als DVD ausleihen muss, verschaffen natürlich einen größeren Distinktionsgewinn als eine genaue Kenntnis der aktuellen Probleme der von Lahnsteins in Verbotene Liebe (ARD 18:00 Mo-Fr). Einzig der unterbeschäftige Freiberufler hat noch ein liebevolles, kontrolliertes Verhältnis zum Fernsehen. So bleibt der mündige Konsument (Grundregel: Nicht alles, nicht vor 18 Uhr) seinen Vorlieben treu, und kann auf diese Weise seinen Sonntag durch bewusstes Sehen jahrzehntelang sinnvoll strukturieren. Seit 1985 läutet die Lindenstraße (ARD 18:50) den Fernsehsonntag ein, danach folgen Weltspiegel, um 20:00 die Tagesschau, im Anschluss Tatort oder Polizeiruf. Wie früher Christiansen lässt man auch jetzt Anne Will aus, beschäftigt sich kurz anderweitig, bis die Tagesthemen rufen und danach  das Kulturmagazin Titel Thesen Temperamente (alles ARD) den Tag ausklingen lässt. Aber auch die Privatsender überraschen immer wieder. Nach 25 Jahren RTL übt die Serie Bauer sucht Frau (Mo 20:15, Wdh. So 16:45) eine schon verloren geglaubte TV-Faszination aus. Als Bauernkind mit Insiderwissen wundert man sich, wie wenig sich in der Szene verändert hat. Es gibt zwar inzwischen gepiercte Jungbauern mit Celtic-Tattoos, aber die großen Küchen, die Eckbank, die herumwerkelnden steinalten Omas – alles wie früher! Der Sprachlosigkeit des Bauernstandes hat RTL Fragmente einer grobgeschnitzten Sprache der Romantik mitgeliefert. So stammeln jetzt bäuerliche Triebschicksale unter schwerem Atmen und in mühevollem halben Hochdeutsch Sätze wie: «Jo do hob i schon Schmetterlinge  im Bauch g’habt.» Die Redakteure wiederum haben sich von Staffel zu Staffel immer mehr in eine schlimmere Alliterationssucht gesteigert: Der romantische Rinderbauer, der sensible Schweinebauer, Hühnerwirt Hansi, Jungbauer Jan machen Bauer sucht Frau immer mehr zum sprachlichen Erlebnis. Das Picknick mit einem Piccolofläschen Billigsekt gehört zur festen RTL-Choreographie der Romanze. Manche Bauern bringen aber auch  eigene Ideen ins Spiel, so werden in ländlicher Technikbegeisterung Heugreifer und Stapler kreativ eingesetzt, wenn es gilt, Liebes­botschaften oder  Rosen auf die Liebste regnen zu lassen. Als geübte Zuschauerin  weiß man  natürlich den Quotenerfolg der Paarungsshow zu analysieren: Endlich eine Doku-Soap ohne Hochverschuldete, Hartz 4-Opfer, schwer Erziehbare und Einrichtungsmuffel. Die notwendige Dramaturgie ergibt sich durch den guten alten Gegensatz zwischen Stadt und Land und ein überkommenes, aber erfrischend ehrliches Geschlechterverhältnis wie von selbst.