gespräch/webmagazin

31. März 2011

Paranoischer Blick der Liebe Christoph Hochhäusler & Ulrich Peltzer im Gespräch zu Unter dir die Stadt

Von Ekkehard Knörer

UNTER DIR DIE STADT

© Heimatfilm

 

cargo: UNTER DIR DIE STADT erzählt einerseits eine klar nachvollziehbare Liebesgeschichte aus der Finanzwelt, modelliert nach der David-und-Bathseba-Geschichte aus dem alten Testament: Roland Cordes, der Banker des Jahres, schickte den Ehemann der Frau, mit der er eine Affäre hat, an die Front. Andererseits ist der Film aber recht reich an Abwegen, an Momenten und Bewegungen, die in diesem Plot nicht einfach so aufgehen. Wie sehen Sie selbst dieses Verhältnis?

Ulrich Peltzer: Zentral schien uns die Frage nach «Offenheit» und «Geschlossenheit». Es geht nicht darum, einen Beweis anzutreten; wir wollen kein Moment des Didaktischen darin haben; dass das Ende wirklich offen bleibt und offen ist. Kein «quod erat demonstrandum», das man dann daruntersetzen kann.

cargo: Muss man da aber nicht gleich wieder aufpassen, dass man auch diese «Offenheit» nur präsentiert, ausstellt, als Beleg sozusagen?

Peltzer: Das finde ich jetzt etwas sophistisch.

Christoph Hochhäusler: Ich sehe da schon eine Gefahr. Etwas, das ich «modernistischen Stolz» nennen würde. Eine Offenheit um der Offenheit willen. Aber diese Gefahr haben wir, denke ich, vermieden. Es gibt ja Schließungen, bewusste Kurzschlüsse sogar auch; manche davon haben den einen oder anderen Zuschauer ja auch schon schwer irritiert.

cargo: Könnte man sagen: Es gibt, wenn man daran arbeitet, in der Vorstellung etwas wie einen «Korpus», einen Körper des Films, des Projekts. Wie weiß man, dass etwas Faszinierendes, eine Detail, eine Anekdote, da trotzdem nicht hineingehört?

Hochhäusler: Ich glaube, dass jede künstlerische Idee einen paranoischen Blick produziert, einen «Blick der Liebe» sozusagen. Bestimmte Fakten nimmt man nicht wahr oder lässt sie beiseite. Das kann sich dann später natürlich böse rächen, wenn man sich wieder trennt.

cargo: Aber inkorporieren lassen sie sich nicht?

Hochhäusler: Wir haben schon versucht, Widersprüche mit hineinzunehmen und auszuhalten.

Peltzer: Man muss auch der Neigung widerstehen, das, was man in der Recherche erfahren hat, unbedingt mit aufzunehmen. Man hat eine Idee von der «Substanz» der Geschichte, die durch das Inkorporieren in den Film nichts anderes wäre als eine Beleg, ein Ausweis, dass man etwas weiß, was die anderen nicht wissen.

cargo: Da wäre die erste Begegnung dann schon ganz allegorisch zu begreifen: Sie verlässt für einen Moment ihre Sphäre, er seine, da kommt es in einer Art Zwischenraum an den Rändern zum Zusammentreffen über einer Zigarette – ohne dass übrigens für den Moment weiteres daraus folgt.

Hochhäusler: Um dieses «Allegorische» geht es uns ganz bewusst: Szenen zu finden, die einerseits in einem erzählrealistischen Sinne glaubwürdig sind und andererseits eben auf diese Weise allegorisch funktionieren können. Ich mag es sehr gerne, wenn das Kino eine bestimmte Abstraktion erreicht; diese Art «Plausibilität», die das realistische Kino erzeugen will, kommt mir oft wie eine Beleidigung der Intelligenz vor.

cargo: Sie machen es sich da aber nicht leicht: Einerseits wird etwas wie eine scheinbar konventionelle Liebesgeschichte signalisiert, andererseits werden durch diese Abstraktionen manche Zuschauererwartungen enttäuscht. Umgekehrt stellt sich die Frage: Kann man dann nicht gleich konsequent «abstrakt» erzählen und verlässt damit aber womöglich den Raum des Erzählkinos?

Hochhäusler: Das würden wir eher nicht wollen. Wir beide interessieren uns sehr bewusst für ein hybrides, unpuristisches Kino, das sehr eklektisch mit Einflüssen umgeht. Wir schwärmen für eine bestimmte Art amerikanisches Kino und wollen gleichzeitig darüber hinaus. Das Nahtlose dieses amerikanischen Kinos, das «Allegorie» und totale Plausibilität scheinbar völlig zur Deckung bringt, finde ich nicht unproblematisch. Man soll Nahtstellen durchaus sehen dürfen ab und an. Das ist auch ein sozusagen geschichtsphilosophisches Argument: Man kann etwas, das historisch seinen Ort hatte, nicht einfach wiederholen wollen. Es geht uns nachdrücklich um einen Ausdruck der Gegenwart in jeder Hinsicht.

Peltzer: Ich würde so formulieren: Welche Mittel habe ich, um größtmögliche Gegenwärtigkeit herzustellen? Was stellt der Fundus der Moderne, der Geschichte bereit? Was funktioniert noch, was funktioniert überhaupt nicht mehr? Da muss man dann auch den Forderungen von Produzenten, Publikum, Kritik widerstehen, wenn man der Ansicht ist: Diese Mittel sind überholt und gehen einfach nicht mehr.

Hochhäusler: Weil wir uns in unseren unterschiedlichen Medien ähnliche Fragen stellen, haben wir uns übrigens überhaupt erst kennengelernt. Eine gemeinsame Freundin – die Autorin Kathrin Röggla – meinte eines Tages zu mir, sie kenne da einen Autor, der sich, obwohl von der Moderne kommend, ganz stark wieder für Plots interessiere.

Peltzer: Das war ich. Und es stimmt: Ich glaube, dass es wirklich Gründe für die Rehabilitation des Plots gibt. Nicht in naiver Weise eines «Zurück zum Erzählen», sondern als Modell für die Darstellung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Die Frage muss lauten: Welche Form des Erzählens und des Plots stellt eine Korrespondenz zur gesellschaftlichen Wirklichkeit her?

cargo: Das hieße, dass der Plot da selbst allegorisch wird: Im «Zusammenhang» einer Geschichte stelle ich modellhaft dar, dass es auch in der Gesellschaft Zusammenhänge gibt?

Peltzer: Ja, denn die beiden radikalen Thesen stimmen ja nicht: Weder hat eine Paranoia recht, die glaubt, dass alles mit allem zusammenhängt, noch würde ich zustimmen, dass alles längst völlig undurchschaubar und damit jeder Zusammenhang beliebig geworden ist. Ich halte auch damit verbundene “altmodische” politische Fragen keineswegs für überholt. Fragen wie: Wem nutzt es? Wer ist der Profiteur? Wer lebt gut und wer lebt schlecht?

cargo: Gerät man damit aber nicht in Konkurrenz zu Gesellschaftstheorie, die auf abstrakter Ebene den selben Ehrgeiz hat – oder haben sollte?

Hochhäusler: Ich glaube eher, was das Kino leistet, ist etwas anderes: Es liefert Bilder für eine Debatte. Meine Grundthese ist, dass das Kino dazu da ist, unseren Wirklichkeitsbegriff zu verschärfen. Und das geht ganz stark über Bilder.

Peltzer: Ich würde zusätzlich darauf beharren, dass es in den Bildern und in der Literatur einen Rest geben muss, der sich der Auflösung im Begriff eben entzieht. Das unterscheidet das Darstellen in der Kunst von der Erklärung der Theorie. Und natürlich gibt es die pure Lust am Erzählen einer Geschichte, und sei es die von einer Begegnung zwischen zwei Leuten. Das ist eine Lust, die ich natürlich auch habe.

Hochhäusler: Und dann gibt es bei mir zugleich die Gegentendenz: Ich bin notorisch daran interessiert, Szenen zu schreiben, die mich als solche und für sich faszinieren, zunächst noch ganz ohne den Blick auf größere Zusammenhänge und den Plot. Das erzeugt gelegentlich Verknüpfungsprobleme. Da hat Ulrich gegengesteuert. Wir hatten die erklärte Absicht, diese Geschicht stärker zu schließen als meinen Vorgängerfilm Falscher Bekenner, der narrativ noch deutlich weiter auseinandergeht.

cargo: Die beiden Szenen, oder eher Sequenzen, in UNTER DIR DIE STADT, in denen es dieses Moment der Verselbständigung gibt, sind für mich einmal alles, was mit Cordes unzuverlässiger «Kindheitserzählung» zu tun hat. Und das andere sind seine Episoden als Voyeur, wenn er Drogenabhängige dabei beobachtet, wie sie sich einen Schuss setzen. Einerseits dient beides sicher der Figurenerklärung, andererseits aber steht es doch – durchaus auch rätselhaft – für sich. Gab es da Überlegungen, diese Szenen stärker zu plausibilisieren – oder sie sogar noch autonomer zu setzen.

Hochhäusler: Insbesondere bei der Drogengeschichte haben wir uns schon die Frage gestellt, ob wir sie direkt zum Teil des Plots machen sollten – und haben uns letztlich dagegen entschieden. Es sollten ursprünglich mehr Begegnungen sein als jetzt im fertigen Film.

 

Falscher Bekenner

© Heimatfilm

 

cargo: Eine andere Option wäre, diese Szenen klar zu «irrealisieren», wie etwa in FALSCHER BEKENNER, wo sehr unklar bleibt, welchen Realitätsstatus vergleichbar irritierende Szenen haben. Diese Drogenszene sorgt, so wie sie jetzt recht unerklärt im Film steht, beim Zuschauer für beträchtliche Irritationen.

Hochhäusler: Eigentlich ist es eine meiner Lieblingsszenen.

Peltzer: Und es gibt da im Prinzip sehr enge Verbindungen, auch räumlich in Frankfurt: zwischen Gier und Süchten, auf sehr unterschiedliche Sachen gerichtet. Das stößt da in einem Radius von 100 Meter zusammen.

Hochhäusler: Für mich ist es nicht zuletzt ein Bild fürs Kino: Wir schauen uns die zuckenden Leiber an und sind dabei sehr sicher und komfortabel.  Lustigerweise – und das will ich jetzt gar nicht als Beleg oder Beweis anführen – hat sich auch der uns von der Bank als Aufseher zur Seite gestellte «Reputation Manager» auf diese Szene bezogen und fand sie «sehr realistisch». Zu der Junkie-Sache noch einmal: Ich glaube, weil einen diese Arbeit so weit weg vom Körper führt, produziert sie diese Sehnsucht als ihre Kehrseite. Ob sich das dann im Umgang mit Prostituierten äußert, oder wie bei uns, ist fast sekundär.

Peltzer: Formen der Aggression und Autoaggression, des Sadismus und Masochismus, die liegen als Kehrseite für mich da grundsätzlich nahe. Deshalb irritiert das vielleicht im erzählerischen Zusammenhang, aber motivisch finde ich es immer noch sehr einleuchtend.

Hochhäusler: Ich habe ja mal Architektur studiert und eine Forderung, die ich da hatte, lag auf der Linie dieser Drogen-Szenen: Jedes Haus, fand ich, sollte einen Raum haben, der in den Plänen nicht verzeichnet ist.

cargo: Es gibt zwei weitere Momente, in denen diese ostentativ «unkörperliche» Welt der Körper massiv wiederkehrt, als eine Art «factum brutum». Einmal diese sehr brutalen Gewaltbilder; dann der Sex mit Svenja. Zugleich bleibt doch immer eine Distanz?

Hochhäusler: Ich würde sagen: Der Sex als Brücke aus dieser körperlosen in eine andere Welt ist nur eine Idee.

cargo: Und bleibt eine Idee. Die Aufhebung der Distanz gelingt nicht. Das Klischee würde ja erzählen, wie er auf diesem Weg eine Form von Erlösung finden kann.

Hochhäusler: Wir wollten eben gerade nicht die Geschichte einer «amour fou». Ulrich hat diese tolle Anekdote erzählt: Marlene Dietrich trifft John F. Kennedy. Er halb invalide, sie nicht mehr die jüngste. Und sie sagt ganz trocken: Ok, bringen wir es hinter uns.

Peltzer: Eher aus diesem Geist ist das als entweder – wie gesagt – eine «amour fou» oder eine Ehebruchgsgeschichte à la «Endlich habe ich jemanden gefunden, die mich besser versteht...».

cargo: Stimmt es, dass Sie gerade an einer Art Nachfolgeprojekt zur Finanzweltgeschichte arbeiten?

Hochhäusler: Das kann man so sagen. Es geht darum, wie Öffentlichkeit gemacht wird, um Medienindustrie. Es geht um einen Journalisten, der sich – ohne es zu merken – manipulieren lässt von einer Lobby. Und als er es merkt, stellt er fest, dass er nichts tun kann. Eine Art Thriller, der in Berlin spielt. Es geht um die Frage: Wie wird das, was dann «Öffentlichkeit» ist, eigentlich hergestellt? Welche Player gibt es?

cargo: Und da geht es konkret um die journalistische Arbeitswelt, um die Arbeit in Redaktionen?

Hochhäusler: Ja, das spielt in einer großen Redaktion, à la Spiegel. Das heißt auch: die alten «Bastionen», nicht die neuen Formen, die sich in den letzten Jahren im Internet zu entwickeln begonnen haben. Und wir begreifen es wirklich als ein Nachfolgeprojekt zu Unter dir die Stadt: die Fortsetzung des Versuchs, komplexere Strukturen im Spielfilm zu beschreiben. Das ist etwas, das ich im deutschen Kino der vergangenen Jahrzehnte vermisst habe.

cargo: Aber konkurriert man da nicht mit einem Fernsehgroßprojekt der Institutionen-Beschreibung wieTHE WIRE?

Hochhäusler: Ja, klar. Und man wird auch den kürzeren ziehen.

Peltzer: Das glaube ich gar nicht. THE WIRE und MAD MEN haben ihre Grenzen, und diese Grenzen liegen genau darin, was das Fernsehen nicht kann, dafür aber das Kino. Mich nervt an dem Fernsehseriendiskurs, wenn ständig die Möglichkeiten einer Erzählform gegen eine andere ausgespielt werden. Das Format Fernsehserie impliziert – und noch in diesen avanciertesten Formen – Verkürzungen, Formatierungen, die das Kino nicht haben muss.

Hochhäusler: Und wir sind, damit da keine Missverständnisse entstehen, Fans dieser Serien. Für mich hat das Kino und das Spielfilmformat aber einen großen Vorzug: die Endlichkeit. Borges schreibt in einer Kurzgeschichte über Die Unsterblichen, die sich nur noch unendlich langsam in einem weitgehend sinnentleerten, amoralischen Raum bewegen. Das Kino dagegen, so würde ich das wenden, verdankt die Moral seiner Geschichten gerade deren Endlichkeit, der Überschaubarkeit seiner «Lebensspanne». Das Kino ist «pathetischer».

Peltzer: Ich glaube, dass das Kino verdichten kann und Perzepte liefern kann, die das Fernsehen durch die Reduktion auf ein bestimmtes Format, auf eine bestimmte Erzählsprache, nicht leisten kann. Das ist es, was für mich «emphatisch» Kunst ausmacht, und weshalb ich auch ins Kino gehe.