24. Januar 2016
Havarie – Philip Scheffner im Gespräch
«Establish visual contact» – eine Formel in der Kommunikation zwischen dem Kreuzfahrtschiff Adventures of the Sea und der spanischen Seenotrettung wird in Philip Scheffners Havarie zur ästhetisch-politischen Standortfrage: Wer wie auf wen blickt, auf welche Weise Objekt und Subjekt dieses Blicks einen (durch Grenzregime bedingten) Kontaktpunkt herstellen, ist Thema dieses Films, der unmittelbar ins Zentrum der gegenwärtigen Realität und Rezeption von Flucht- und Migrationsbewegungen führt.
Während auf der Bildebene ein gut dreieinhalb Minuten langes YouTube-Video auf 90 Minuten gedehnt wird – in eine «Echtzeit» voller Phantom- und Medieneffekte – entfalten sich auf der Tonspur über den Globalisierungsakteur «Mittelmeer» verwobene, auf investierte Recherchearbeit basierende Geschichten, die bereits in Merle Krögers vielfach ausgezeichnetem Roman Havarie (2015) eine kluge literarische Verdichtung erfahren haben.
Was erzählbar wird: Wie sich auf diesem maritimen Schauplatz zeitgenössischer Geo- und Handelspolitik Menschen, Waren, Blicke, Hoffnungen, Konsumverhältnisse kreuzen. Die im Urlauber-Video festgehaltene Begegnung zwischen der Adventure of the Seas und einem Schlauchboot am 14.09.2012 wird in Scheffners insistierender dokumentarischer Lektüre zu einer gespenstisch verschobenen (und darin repräsentativen) Einzelbildserie, die mit einem Sountrack – der seinerseits das Produkt einer nun ausschließlich akustisch anwesenden Dreharbeit on location ist – etwas Eigenes ausbildet: eine Kontaktzone, die als Diskursraum Rückfragen an Zuschauer- und Zeitgenossenschaft stellt. Simon Rothöhler