italien 5

26. April 2023

5 x Antonio Pietrangeli

Von Ekkehard Knörer

Adua e le compagne

Adua e le compagne

© Raro Video

 

Adua e le compagne (1960)

Adua (Simone Signoret) und ihre Partnerinnen geben das Bordell auf, die Kundschaft stellt zum Abschied noch einen großen Kranz vor die Tür. Es geht zur Bank, dann hinaus aufs Land, im Gebäude, das für Aufbruch und Neuanfang steht, ist mehr als genug noch zu tun, bis es zur Eröffnung bereit ist: Das Restaurant trägt Aduas Namen, vom Kloster nebenan kommt ein Bruder, Gäste stellen sich ein, eine der Frauen holt ihr Kind zu sich zurück. Eine Befreiung, aber auch Selbstzweifel sitzen am Tisch. Das Geld reicht nicht, auch andere zentrifugale Kräfte machen sich sogleich ans Werk: in Richtung Ehe und Bürgerlichkeit. Ein Mann taucht auf (Marcello Mastroianni), der Autos verkauft, und mit Adua Absichten hat, mit anderen Frauen hat er sie auch. Der Kredit, den Adua und ihre Freundinnen aufnehmen müssen, hat einen Haken: Der Geldgeber fordert die lukrative Wiederaufnahme von Bordelltätigkeiten im Obergeschoss. Aufbruch, Frauensolidarität bleiben ein Traum, sie haben die Initiative ergriffen, die patriarchale Gesellschaft macht Druck und zwingt sie in die Rollen zurück, die sie hinter sich zu lassen versuchten. Gerne hängt der Film mit den Frauen ab, draußen im Garten, auch in der Küche, baut auf, bewegt sich im leuchtenden Schwarzen und Weißen, in Taglicht und Nachtschatten durch Stadt und Land, durch das erstrahlende neue Haus. Mit bitterer Wucht fährt Pietrangeli den Aufbruch dann gegen die Wand. Ein Schönes war, hieß Adua e le compagne. Und durfte nicht sein. Heftiger Regen, Adua ist zurück auf der Straße. (74cp)

 

La visita (1963)

Treffen sich zwei, eine Heiratsannonce, auf die er geantwortet hat, bringt ihn aus Rom in die sehr kleine Stadt, in der sie in einem Haus für sich lebt. Hier erproben sie 24 Stunden lang, wie das sein könnte: Pina (Sandra Milo) und Adolfo (François Périer), ein Leben als Paar. Die Fahrt mit dem kleinen Oldtimer-Auto durch die Innenstadt, wo ihnen Cucaracha (Mario Adorf) begegnet, der Außenseiter, der mit Steinen bewirft, was ihm nicht passt, zum Beispiel: Adolfo. Der wird von Pina fürstlich bewirtet und tritt zum Dank die kleine Schildkröte, die als Haustier bei ihr lebt. Er beschimpft den Papagei, er frisst wie ein Schwein, er betrinkt sich fürchterlich, er macht der Enkelin der Zugehfrau schöne Augen und sucht beim Dorffest den Engtanz mit ihr. Pina träumt sich den Mann, der schlimmer nicht sein könnte, gewaltsam zurecht, denkt man, zieht aber am Ende mit brutalem Realismus gerechte Bilanz. Und hier stellt sich der Film, der bis dahin die Komik des schrecklichen, egozentrischen, gefühllosen Mannes kalt zelebriert hat, auf sehr verblüffende Weise auf den Kopf. Adolfo bekennt sich zur Wursthaftigkeit seiner selbst, fällt in sich zusammen. Auf dem ausgenüchterten Grund des Realitätsprinzips haben sie anstatt einer gemeinsamen Zukunft nun Sex. Dann Rückfahrt im Morgengrauen zum Bahnhof, er schickt einen Brief und eine Lampe, sie kehrt zurück ins kurz zerrissene soziale Gewebe, in ihr Haus mit Schildkröte, Papagei, dem LKW-Fahrer und dem steinewerfenden Cucaracha. (74cp)

 

La parmigiana (1963)

Der Polizist: ein Mann wie ein Pfahl auf zwei Beinen, mit dem Regenschirm als drittem dazwischengesetzt. Da steht er, aufgepflanzt, vor dem Fenster, und bringt seinen Willen, Dora zur Frau zur nehmen zum Ausdruck. Im Eifer des Gefechts rudert er sie unsanft rückwärts ans Ufer, da noch mit Schnurrbart, später ohne. Zunächst mit strikter Jungfräulichkeits-Ehemoral, später ohne, nachdem sie ihn durch Beischlaft loszuwerden versucht. Viel geht hier nach hinten los, auch die Schwenks nach rechts oder links, die die Gegenwart (und ihre lüsternen Männer) mit der Vergangenheit (und ihren lüsternen Männern) verbinden: Sie sind nicht flott und nicht elegant, diese Schwenks, gewinnen Eigengewicht durch ihre Erstreckung, großartig absurd einer, der mitten in der Stadt auf ein Klavier stößt, das dann im Match-Cut-Schwenk zu einem früheren führt. Auch die Musik tut eigenwillige Dinge, pfeift sich eins, wenn sie nicht diegetisch zum Tanz aufspielt, frenetisch: eine Gesellschaft, die ihre Beengungen durch Winden und Schütteln auszutreiben versucht. Catherine Spaak als diese Dora ist die Verführungskraft höchstpersönlich, egal ob blond oder brünett, ist ein Subjekt des Begehrens, dessen selbstbewusste Avancen die Männer ebenso wie klare Ansagen als Einladung nehmen, sie einzig als Objekt zu begreifen. Sie macht es sich zunutze, up to a point, objektiviert aus Notwehr zurück, im Gegenzug schenkt sie ihre Verachtung, und die ist, daraus macht der Film nicht den mindesten Hehl, Mann für Mann mehr als verdient. Eines allerdings kann in dieser verkehrt eingerichteten Welt nicht gelingen, im provinziellen Parma nicht und auch nicht im sich mondän gebenden Rom, gnadenlos wird das rundum durchdekliniert: eine Beziehung, in der beide sich und die andere als Subjekte begreifen. Ein Happy End wäre gelogen und findet darum nicht statt. (81cp)

 

Il magnifico cornuto (1964)

Ein geräumiger Film. Souverän und mit geradezu alta-modesker Eleganz bewegt sich die Kamera durch Zimmer und Flure, auf Partys, um Betten, gibt mehr Platz als sie nimmt und fühlt sich ganz wie zuhause, selbst im Hotel, in das sie Andrea Artusi (Ugo Tognazzi), nicht sehr großem Mann mit Hutfabrik, zum Seitensprung folgt. Er ist es, der seine Frau, jung und schön, so jung und schön wie Claudia Cardinale (Kleider und Frisur: sehr variabel), betrügt, den aber die Eifersucht plagt. Er wird zur komischen Figur, wenn nicht tragisch, lauert ihr auf, belauscht heimlich mit dem mobilen Separattelefon ihre Gespräche, rast hinter ihr her durch die leeren Straßen der majestätischen Stadt im gar nicht majestätischen winzigen Alfa, dessen Lenkradschloss ihm an anderer Stelle Probleme bereitet. Macht sich zum Horst vor den Gästen der Party, hat Fantasien, denen die Kamera wiederum mit Begeisterung folgt, unscharf verschleiert im mysteriösen Untergeschoss des Hotels, sehr scharf dagegen der Striptease im Bett, es werden Nummern gezogen, dann Streifen des raffinierten Unterkleids von Maria Grazia gerupft. Allzeit zum kühlen Spott bereit und auf sehr eigenen Pfaden unterwegs dazu die Musik, die Armando Trovajoli komponiert hat, jazzig pfeifend, den komischen Helden aufziehend, wenn nicht trollend. Es endet mit einer Versöhnung, an der alles falsch ist, heiß wird getanzt zu Jimmy Fontana, Andrea ist geheilt von der Krankheit, die nun erst ihre selbsterfüllenden Wirkungen zeitigt. (73cp)

 

Io lo conoscevo bene (1965)

Der Film ist immer zentrifugal und zentripetal zugleich, tritt auf der Stelle und ist schon weiter, szenenflüchtig, zu sich taumelnd. Sein Zentrum nämlich ist leer. Nein, nicht leer, aber Adriana, mit wechselnden Perücken, an wechselnden Orten, mit wechselnden Männern und wechselnden Jobs (Friseurin, Kinoplatzanweiserin usw.), ein Schnitt, und wir, sie, der Film sind schon wieder woanders, kurzer Auftritt Mario Adorf als geschundener Boxer, etwas längerer Auftritt Joachim Fuchsberger, italienisch synchronisiert, erfolgreicher Schriftsteller, graumeliert, frenetischer Auftritt Udo Tognazzi, der sich an den Rand des Herzinfarkts auf dem Tisch bei der Filmemacherparty steptanzt, verzweifelt, wie dies ohnehin eine Verzweiflungsetüde ist, Geschichte (wäre Geschichte etwas, das die Zusammenhänge, die es hat, immerzu wieder löst) einer jungen Frau, die durch eine Gesellschaft treibt, die atomisiert scheint, verfolgt von einer Kamera, die ebenfalls etwas Loses hat, aus dem Takt gerät, zoomfähig, kreisschwenkbereit, einmal löst sich die Figuration bis ins voll und ganz Verschwommene auf. Dazu viel Musik, oft intradiegetisch (manches kennt Shazam, manches nicht), Böses ahnen lässt ein Blick von oben am Ende. Das Geahnte tritt ein, und das ist dann doch ein allzu schwerer Akzent. (75cp)

 

Io lo conoscevo bene

Io lo conoscevo bene

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