depressionsfilme

10. Mai 2009

Unzeitgemäßes Bewusstsein Folge 5: Gabriel Over the White House (Gregory La Cava) USA 1933

Von Catherine Davies

© MGM

 

Bereits die Entstehungsgeschichte dieses Films ist ungewöhnlich: Während des Präsidentschaftswahlkampfs 1932 verfasste der amerikanische Medienmogul William Randolph Hearst das Skript zu einem Film, in dem ein junger amerikanischer Präsident mit quasi-diktatorischen Maßnahmen all jene Probleme bewältigt, mit denen sich das Land drei Jahre nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise immer noch konfrontiert sah. Angeblich legte Hearst dem von ihm favorisierten Kandidaten der Demokratischen Partei, Franklin D. Roosevelt, das Drehbuch vor, woraufhin dieser einige Änderungen vorschlug, die Hearst berücksichtigte; 1933 kam der Film dann in die Kinos. Tatsächlich erwies sich Gabriel Over the White House als prophetisch, denn zahlreiche Maßnahmen des New Deal fanden sich in ihm vorweggenommen, wie die Rücknahme des Alkoholverbots, Subventionen für Farmer und die groß angelegten Beschäftigungsmaßnahmen für Arbeitslose.

Politik des Notstands 

Der Film setzt ein mit der Inauguration des jungen Präsidenten Judd Hammond (Walter Huston), der, wie schnell offenbar wird, den Ernst der politischen und wirtschaftlichen Lage seines Landes verkennt: Arbeitslosigkeit und Gangstertum sind für ihn «lokale Probleme» und auf die Frage eines Journalisten, wie er die gegenwärtige Krise zu überkommen gedenke, antwortet er mit Floskeln. Als er nach einem schweren Autounfall aus dem Koma erwacht, ist Hammond wie verwandelt («as if Gabriel had come over the White House», beschreibt seine Vertraute Miss Malloy diesen Moment); sein Gleichmut ist einer ernsten Entschlossenheit gewichen, der sogleich Taten folgen. Gegen den Willen seiner Berater stellt Hammond sich dem Heer der Arbeitslosen und verkündet die Einrichtung einer «Army of Construction»; hier sollen die Arbeitsuchenden unter staatlicher Aufsicht eine Beschäftigung finden, bis Wachstum und Prosperität wieder hergestellt sind. Als sich im Kongress Widerstand gegen Hammonds Maßnahmen regt und ein Amtsenthebungsverfahren im Raum steht, kündigt dieser an, das Kriegsrecht zu verhängen, sollte der Kongress nicht den nationalen Notstand ausrufen und dem Präsidenten die damit einhergehenden außerordentlichen Vollmachten verleihen. Vollendete Tatsachen schafft Hammond schließlich auch in der Außenpolitik: Die Militärausgaben müssten reduziert und die frei werdenden Mittel zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden, fordert er. Sollten die Bündnispartner sich weigern, drohe ein neuer Rüstungswettlauf und Krieg. Um seinen (guten) Willen und seine überlegene Macht vor aller Welt zu demonstrieren, lässt Hammond die Air Force zwei amerikanische Kriegsschiffe bombardieren. Die versammelten Staatsoberhäupter lenken ein und unterzeichnen ein Entwaffnungsabkommen.

Entfernte Verwandtschaft

Aus heutiger Sicht wirkt es geradezu unheimlich, wie explizit hier das Amerika des New Deal in die Nähe einer autoritären Diktatur gerückt wird, wie sie in Europa unter Hitler und Mussolini bereits existierte. Aus den Handlungen des Präsidenten Judd Hammond spricht eine deutliche Verachtung für das System der checks und balances, er droht den Repräsentanten des Volkes mit der Verhängung des Kriegsrechts und schert sich ebenso wenig um den due process, als er eine Reihe von Gangster-Bossen von einem Militärtribunal zum Tode verurteilen und kollektiv erschießen lässt.

Die hier anklingende «Entfernte Verwandtschaft» von Faschismus, Nationalsozialismus und New Deal hat Wolfgang Schivelbusch vor einigen Jahren zum Gegenstand seines gleichnamigen Essays in historischer Komparatistik gemacht, dessen Ziel es ist, ein Stück weit wieder die «Unbefangenheit» des Blicks auf das Schicksal westlicher Demokratien herzustellen, die der zeitgenössischen Wahrnehmung während der ersten Hälfte der dreißiger Jahre eigen war und erst aus der historischen Rückschau so unwahrscheinlich wirkt. Schivelbusch zeigt, dass in der italienischen und deutschen, aber auch in der englischen und französischen Presse ganz offen, in den USA dagegen hinter vorgehaltener Hand, aber kaum weniger deutlich, die Gemeinsamkeiten zwischen den drei Systemen benannt wurden, je nach Kontext und individuellem Standpunkt mal triumphierend, mal nüchtern-resignativ; ein Vergleich, der mitunter auch das sowjetische Experiment als heimlichen Bezugs- und Ausgangspunkt aller drei Länder mit einschloss. So sah der Völkische Beobachter 1933 in Roosevelts Wirtschafts- und Sozialpolitik nationalsozialistisches Gedankengut am Werk und sprach vom «Führerprinzip» seiner Herrschaft. Außerhalb Deutschlands waren es vor allem Mussolini und der italienische Faschismus, dem Roosevelt und die Maßnahmen seines New Deal an die Seite gestellt wurden – dieser selbst soll Mussolini und Stalin einmal vor Journalisten gar als seine «Blutsbrüder» bezeichnet haben. Einigen amerikanischen Sympathisanten fiel eine solche Annäherung vor allem deswegen leicht, so Schivelbusch, weil für sie der Faschismus im Grunde gleichbedeutend war mit dem korporativistischen Prinzip, der staatlichen Wirtschaftslenkung bei gleichzeitiger Beibehaltung des Privateigentums, und damit nichts weniger verhieß als die Möglichkeit eines dritten Weges zwischen Liberalismus und Sozialismus. Freilich ging jenen wohlwollenden amerikanischen Beobachtern das Wort vom «amerikanischen Faschismus» auch deswegen so leicht über die Lippen, weil sie der Überzeugung waren, dieser würde ohne politische Gleichschaltung und Repression auskommen.

Warfare und Welfare

Dabei konnten sich alle Systeme eine geteilte historische Erfahrung zunutze machen: die des Ersten Weltkriegs. Dass sich sowohl der NS als auch der Faschismus einer aggressiv-martialischen Sprache bedienten, ist nicht neu; Schivelbusch aber weist darauf hin, dass auch der New Deal in seiner Rhetorik an eine offen kriegerische Mentalität appellierte. Die Weltkriegserfahrung manifestierte sich in den USA aber auch ganz konkret auf personeller Ebene: Der innere Führungskreis des New Deal bestand zu einem großen Teil aus Veteranen der Kriegswirtschaftsbürokratie der Jahre 1917/18. Diese wiederum sahen die Große Depression als Chance, ein Experiment fortzuführen, das mit dem Ende des Kriegs unterbrochen worden war. Denn tatsächlich reichte ja die liberale Enttäuschung viel weiter zurück, nämlich bis in die Jahre des Gilded Age der 1890er Jahre, als die hemmungslose Bereicherung einiger weniger das liberale Versprechen von Wohlstand und Emanzipation aus der Zeit der nationalen Einigungskriege zu verraten schien. In diesem Kontext war in Kreisen amerikanischer Progressivisten längst die Überzeugung gereift, der Staat müsse eingreifen, um eine «gründliche Erneuerung von Wirtschaft, Gesellschaft und Nation» zu erreichen, und mit dem Kriegseintritt der USA schien die Gelegenheit dazu endlich gekommen. Die Umstellung auf die Kriegswirtschaft ging mit einer bis dahin nicht gekannten Gleichschaltung der innenpolitischen Opposition einher. In diesen Jahren wurden, so Schivelbusch, Warfare und Welfare «austauschbare, bald gleichbedeutende Begriffe» – ein technokratisches Verständnis von Staatsführung, an das Roosevelt in den dreißiger Jahren anknüpfen konnte.

La démocratie, c’est la dictature

Diese technokratische Dimension des New Deal sollte der Öffentlichkeit hingegen bewusst verborgen bleiben. Im Vordergrund stand vielmehr die Person des Präsidenten selbst, dessen zentrales Mittel der Selbstlegitimation die fortwährende Demonstration der eigenen Entschlossenheit, des eisernen Willens war – hierin wiederum ähnlich den beiden europäischen Diktatoren, Hitler und Mussolini. Alle drei waren Führer, deren Charisma ganz wesentlich der Suggestion einer «plebiszitären Direktverbindung» zwischen ihnen und den Massen entsprang. Zeitgenossen fassten dieses Phänomen in der Formel «La démocratie, c’est la dictature» – eine Gleichsetzung, die in Gabriel von Präsident Hammond in seiner Rede vor dem Kongress denn auch selbstbewusst affirmiert wird.

Dass dabei die demokratischen Institutionen in Deutschland und Italien schnell und gründlich zerstört wurden, die bürgerlichen Freiheiten in den USA dagegen immer intakt blieben, war Zeitgenossen wohl bewusst, wurde aber erst durch die kriegerische Zuspitzung der ideologischen Konfrontation dieser Jahre zum zentralen Gegensatz der Systeme erklärt. Insofern ist Gabriel over the White House Zeugnis eines unzeitgemäßen Bewusstseins, das aber, wie Schivelbusch eindrücklich vorführt, deswegen nicht einfach reaktionär ist.
 

Wolfgang Schivelbusch, Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal. 1933-1939. München 2005

Gabriel Over the White House (Gregory La Cava) USA 1933, mit Walter Huston und Karen Morley. Cosmopolitan Productions, 86 Minuten