experimentalfilm

31. Juli 2012

Imaginator Chris Markers letzter Film

Von Bert Rebhandl

Mit dem Tod von Chris Marker verliert die Welt einen Filmemacher, der «in keine Schublade passte» (Bild). Dieser zutreffende Umstand hat auch damit zu tun, dass der französische Filmessayist sich in den letzten zwanzig Jahren zunehmend auf die neuen Medien einließ, und heute vielleicht einer der am meisten kommentierten und auch von Gerüchten umgebene Cinéast des Youtube-Zeitalters ist. Sein Werk kursiert in Fragmenten, und noch bis in die jüngere Zeit hat Marker selbst gelegentlich das eine oder andere hinzugefügt. Besondere Aufmerksamkeit hat nun ein nur 30 Sekunden langer Film erlangt, von dem die Informierten einander bedeutungssschwanger weitererzählen, dass Marker ihn am Tag der Demission von Steve Jobs bei Apple an einige Freunde und Bekannte gemailt habe.

ImagiNE enthält nicht viel mehr als eine schemenhafte Szene, in der ein Gang in einem Hotel sichtbar wird (das Sofitel in New York), durch den sich eine Figur bewegt, die durch ihre Kleidung und durch den mitgeführten Staubsauger als Servicepersonal erkennbar ist. Mit dem Blick auf ein Schild mit der Botschaft Do not disturb endet die Petitesse auch schon. Was unweigerlich als Fußbote zu der Affäre Dominique Strauss-Kahn gesehen werden muss, stellt inhaltlich allerdings keine Parteinahme für eine der verschiedenen «Wahrheiten» in dieser Angelegenheit dar. Marker macht sich, wenn man schon eine Deutung riskieren möchte, am ehesten über die Ohnmacht des Wissenwollens in dieser Sache lustig. Die Perspektive einer Überwachungskamera, die hier eingenommen wird, ergibt nicht mehr als ein triviales Faktum: einen abgegrenzten Raum, in dem jemand nicht gestört werden will.

Man kann sich denken, dass Marker hier wohl eher die Form der einfachen, handgemachten Animation interessiert hat, als ein luzider Kommentar zu einer heiklen politisch-sexuellen Affäre. In seinem vollständig im Netz verfügbaren wichtigsten Übergangsfilm Level 5 nennt er beim Namen, was uns umgibt, seit die Daten allgegenwärtig geworden sind: «armselige Stückchen Information». Markers Erbe wird vielleicht einmal darin bestehen, dass er uns schon mit den Mitteln des Kinos und dann eben auch mit winzigen Notaten wie Imagine auf das Schicksal der Subjektivität im Informationszeitalter eingestimmt hat: instabile Navigation zwischen Fragmenten des Wissens.