dokumentarfilm

5. März 2013

Armageddon Im Fernsehen: Der Dokumentarfilm Töte zuerst (The Gatekeepers)

Von Bert Rebhandl

© Cinephil

 

Der Felsendom in Jerusalem ist eines der wichtigsten muslimischen Heiligtümer. Ein Anschlag auf das Gebäude mit der berühmten goldenen Kuppel hätte ähnliche Symbolkraft wie die Zerstörung des World Trade Centers am 11. September 2001. In den neunziger Jahren dachten radikale Juden tatsächlich konkret über eine Sprengung des Felsendoms nach. Ihr Motiv war ein chiliastisches, das heißt: sie wollten die Geschichte insgesamt beenden, Armageddon heraufbeschwören, den Messias herbeizwingen.

In dem Dokumentarfilm The Gatekeepers, der im deutschen Fernsehen unter dem Titel Töte zuerst läuft (der NDR war Koproduzent), berichten sechs ehemalige Chefs des israelischen Geheimdiensts Schin Bet von ihrer Arbeit. Es geht um Terrorismusbekämpfung, die nach dem Sieg im Sechstagekrieg von 1967 und der darauf folgenden Okkupation großer Gebiete zwischen Syrien und dem Suez-Kanal notwendig wurde. Dass auch jüdische Fromme zu einer Gefahr für Israel werden könnten,  begriff man bei Schin Bet erst allmählich.

Der Film von Dror Moreh wird vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Beleg dafür vermarktet, dass Israel zu einem «korrupten Kolonialregime» geworden ist. Diese besonders kontroverse Aussage holt der Regisseur allerdings indirekt aus einem der Befragten heraus, indem er einen Befund von Joschua Leibowitz aus dem Jahr 1968 zitiert. Yuval Diskin, von 2005 bis 2011 Chef von Schin Bet, antwortet darauf: «Ich denke, er hat recht.» Und auch seine Kollegen, allesamt bereits aus dem Dienst ausgeschieden, kommen zu pessimistischen Einschätzungen der israelischen Politik. «Wir sind grausam geworden», sagt der Älteste von ihnen, Avraham Shalom.

Dror Moreh kombiniert die Talking Heads mit zahlreichen Archivaufnahmen, wobei er zum Teil relativ neue Verfahrensweisen verwendet, die derzeit vor allem den Umgang mit Fotografien verändern – sie werden dreidimensional animiert, werden also zu Szenenbildern, bei denen man sehr genau hinsehen muss, um zu verstehen, was da jeweils gerade gemacht wird. Da die Bilder in The Gatekeepers strikt illustrativ sind, erscheinen sie als nicht so wichtig, denn die Worte dominieren den Film, das Zitable macht seine politische Wirkmacht aus, von der die israelische Linke anscheinend bereits profitieren konnte.

Doch Dror Moreh macht mit seinen Bildern von Überwachungsszenarien, Raketenangriffen, Zugriffen (unabsichtlich?) auch etwas von der Aggressionslust deutlich, die in der Terrorbekämpfung stecken kann (auch die Geheimdienstler können bei der Erinnerung an die eine oder andere Aktion ihre Befriedigung nicht ganz verbergen). Und das Verhältnis zwischen Regierung und Geheimdienst, das ja eigentlich der springende Punkt der ganzen Geschichte ist, wird in The Gatekeepers letztendlich zu kursorisch beleuchtet, als dass man hier von einem tatsächlich politischen Dokumentarfilm sprechen könnte. Dazu bleiben auch die Protagonisten in der Montage ein wenig zu abstrakt sich selbst gegenüber, denn Dror Moreh lässt nur in Andeutungen erkennen, wie sich deren Positionen im Lauf der Jahre verändert haben mag.

Das hat alles damit zu tun, dass es letztendlich um ein starkes Argument geht: Israels Politik nach 1967 ist gescheitert. Die sechs Herren aus The Gatekeepers sind für diese Behauptung auf jeden Fall plausible Zeugen.

Dienstag, 5. März 2013, 20.15h auf Arte; Mittwoch, 6. März 2013, 22.45h in der ARD