filmkritik

31. März 2020

Triumph der Eleganz Die Zeitschrift FILMKRITIK vor fünfzig Jahren (18): Heft 03 1970

Von Bert Rebhandl

Enno Patalas meldet sich in diesem Heft schon ganz vorn mit einer Invektive gegen Kracauer: «Das Beispiel Siegfried Kracauers, schrieb Th. W. Adorno in seinem Nachruf auf diesen, habe die deutsche Filmkritik auf Niveau gebracht. Jetzt muß sie schauen, daß sie da wieder runterkommt.» Muss man es dann als Beispiel für das Niveau, das er selbst setzen will, lesen, wie er mit Z von Costa-Gavras verfährt? «Ein linker Film für Axel Springer» steht über seinem Text, in dem Patalas sich sowohl mit der zeitgenössischen deutschen Filmkritik wie auch in einem weiteren Sinn mit einer bürgerlichen oder liberalen Öffentlichkeit auseinandersetzt. Z, eine französische Prestigeproduktion über das Ende der Demokratie in Griechenland im Jahr 1967, war der «politische» Film der Stunde zu dieser Zeit. Er stieß aber auch auf heftige Ablehnung von links: In den Cahiers du Cinéma hatte Jean Narboni die Positionen markiert (zu viel Identifikation mit Individuen, zu wenig Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen), für die deutschsprachige Zustimmung zitiere ich Bodo Kochanowski aus der BZ, der Z «fast dokumentarisch exakt» fand.

Dagegen sah Patalas tendenziell einen faschistischen Film: «So wurde in Triumph des Willens der Führer des Dritten Reiches eingeführt», schreibt er über die Szene, in der der demokratische Hoffnungsträger in dem namentlich nicht genannten Land mit dem Flugzeug ankommt. «Neu ist nur der Verschnitt mit der Peter-Stuyvesant-Welt» in einem «All-Star-Film der eleganten Linken». Für Patalas ergibt Z «ein Bild, das sich der alarmierte liberale Bürger von seiner Welt macht». Wichtig wäre aber, dass ein politischer Film die konventionelle Form des Kriminalromans «durch politische Inhalte sprengt».

Ich habe mir Z noch einmal angesehen, in Erinnerung hatte ich einen Politthriller mit einem bedrückenden Pessimismus. Die Idee einer rechten Verschwörung, die alles ausweglos im Griff hat, war in der Zeit meiner frühen politischen Sozialisation allerdings auch sehr naheliegend: Süd- und Mittelamerika waren damals sehr präsent, ich gehöre der Generation an, für die Nicaragua und El Salvador Mitte der 80er Jahre wichtig waren.

Erstaunlich fand ich nun, wie sehr Costa-Gavras die Vorwürfe der anderen Linken (denn er verstand sich sicher selbst als einer, und hätte Eleganz als Ausschlusskriterium vermutlich zurückgewiesen) im Grunde schon geahnt zu haben scheint. Denn die entscheidende Figur ist ja nicht der Politiker (Yves Montand), sondern der junge Staatsanwalt (Jean-Louis Trintignant), der in seinen ersten Szenen noch eine unauffällige Nebenfigur ist, der dann aber ins Zentrum rückt, weil er den Mord an dem Politiker untersucht. «Über den Klasseninteressen und aller Ideologie schwebend stellt sich der Liberale das Gesetz und die freie Presse vor», schreibt Patalas. Das ist eine negative Sicht auf etwas, was Costa-Gavras wohl ambivalenter sehen wollte: Der junge Vertreter des Staats ist geradezu provozierend durch Prozeduralität bestimmt («Name? Beruf? Alter?», dieser Refrain am Beginn der Befragungen charakterisiert ihn am meisten, neben den getönten Brillen, die ihn auch gleichsam entseelen), er ist das Gegenteil all der Engagierten, man erfährt zwar beiläufig, dass sein Vater dem konservativen oder vielleicht sogar reaktionären Establishment angehörte, er selber aber wendet sich nicht auf die andere Seite, sondern bleibt pure, neutrale Funktion. Also keine typische Identifikationsfigur, sondern eher eine konzeptuelle.

Das überraschende Ende von Z (in einer schnellen Montagesequenz kassiert ein Komplott die gerichtliche Aufklärung des Mords ein) könnte man als dialektische Aufhebung der zweiteiligen Struktur des Films sehen: der reaktionären These (dem Mord) folgt eine institutionelle Antithese (die Ermittlungen), am Ende bemächtigen sich die Reaktionäre der Institutionen vollständig, wie es die erste Szene im Grunde schon deklariert hatte.

Die fünfzig Jahre, die uns von der Filmkritik vor fünfzig Jahren trennen, sollen den damaligen Texten keineswegs vorgehalten werden. In diesem Fall lese ich bei Patalas aber etwas, was als schlechtes Erbe der Studentenbewegung mitgeführt wurde, nämlich eine theoretisierende Anmaßung, die immer schon weiß, was die «politischen Inhalte» sind, mit denen die liberale Öffentlichkeit zu sprengen ist.

Interessanterweise unterwandert die Filmkritik in diesem Heft 3 ihre ideologische Besserwisserei durch exzellent kuratierende Textauswahl selbst: Über Viscontis La caduta degli Dei machen sich gleich drei Redakteure her, weil aber ein Schwerpunkt im Heft auch Werner Schroeter gewidmet ist, äußert sich der auch, und der kann einiges mit der «seriösen Nazioperette anfangen». Zum Beispiel gewinnt er «neue Aufschlüsse: Der deutsche Faschismus war elegant». (Fast könnte man geneigt sein, dass auf diesem Weg der Begriff der Eleganz dann auch in die Auseinandersetzung mit Costa-Gavras hinüberwanderte.)

Auch die «stilistisch nicht gebundene Kameraführung», die Schroeter bei Visconti sieht, könnte man bei Costa-Gavras finden, der mit frühen Walk’n’Talks und anderen Mitteln (auch von viel geschmähten Zooms) vieles schon machte, was inzwischen selbstverständliches Vokabular von Handlungsfilmen ist.

Der andere Pol des theoretisierenden Argumentierens wird in diesem besonders spannenden Heft der Filmkritik von zwei ihrerseits wiederum entgegengesetzten Schreibstrategien vertreten: Frieda Grafe und Wim Wenders deuten jeweils an, dass sich eine gute Kritik im Idealfall der Tautologie nähert. Bei Wenders ist das zu diesem Zeitpunkt aus den vorangegangenen Heften ja schon länger deutlich. Über Stadt in Angst von John Sturges schreibt er nun: «Ein amerikanischer, farbiger, verstaubter Film, in dem alles so sehr stimmt, daß man es kaum ertragen kann.» Zwei Adjektive und eine Herkunftsbezeichnung trennen diesen Satz von der reinen Vermeldung, dass dieser Film existiert und dass an ihm nichts verkehrt ist.

Noch einfacher verhält es sich mit den Notizen von Wenders, bei denen man im Grunde nur die Überschrift lesen muss: «Die 10. LP von den Kinks. Der 51. Film von Alfred Hitchcock. Die 4. LP von Creedence Clearwater Revival. Die 3. LP von Harvey Mandel.» Die sind alle sehr gut, da stimmt auch alles. Ich habe den dazugehörigen Text trotzdem gelesen, und weiß nun wieder, dass es damals das technische Instrument des Zehnplattenwechslers gab («ich habe alle alten Singles von den Kinks auf den Zehnplattenwechsler gelegt»).

Frieda Grafe wiederum ist von Patalas, dem sie im Leben so nahe war, in diesem Heft als Autorin denkbar weit entfernt. Denn Theorie ist bei ihr niemals etwas, was man gar nicht richtig einholen muss, um es für eine Urteilsfunktion brauchen zu können, sondern etwas, das sie in eine Bewegung überführt, die im Grunde auch bei den Überschriften von Wenders ankommt: Der 15. Film von Wener Schroeter wäre das in diesem Fall (Neurasia), oder der 26. Film von Bunuel (Der Würgeengel).

«Ach, könnte ich meinem Text nur Ausdruck verleihen!!!!», schreibt sie am Ende ihrer knappen und ungeheuer dichten Ausführungen zu Neurasia, und erweist damit dem Film die Ehre, indem sie dessen Spannung zwischen Sprache und Ausdruck in ihren Text aufnimmt, den es also wohl zweimal geben müsste: einmal geschrieben und als Abdruck in der Filmkritik, und einmal als Geste - was der letzte Satz immerhin ist, nämlich eine kluge, und elegant ist sie auch.