non-fiction

26. Juni 2012

Weißes Afrika Lektüre: Leopold von Mildenstein im Nahen Osten

Von Bert Rebhandl

Das Buch Naher Osten - Vom Straßenrand erlebt (1941) habe ich mir vor einer Weile antiquarisch bestellt, nachdem ich Bettina Stangneths Eichmann vor Jerusalem gelesen hatte. Damals wusste ich noch nicht, dass dieser Fahrtenbericht eines Nationalsozialisten durch den Balkan nach Griechenland und dann an den Küsten des östlichen Mittelmeers entlang bis nach Libyen im Sommer 1939 schon bald in den Zusammenhang eines aktuellen Films geraten würde. Doch in Arnon Goldfingers Die Wohnung geht es ganz wesentlich um die Frage, wie die Großeltern des Filmemachers, Kurt und Gerda Tuchler, auch noch nach dem Krieg mit dem früheren SS-Offizier Mildenstein befreundet bleiben konnten.

Einer der Hauptvorwürfe gegen Mildenstein ist dabei, dass er im NS-Kampfblatt Angriff publiziert hatte. Auf das Buch aus dem Jahr 1941 hingegen geht Goldfinger kaum ein, dabei sucht er doch nach Aufklärung über das Wirken von Mildenstein während des Krieges. Dass er «unbescholten» durch diese Jahre kam, wie seine Tochter Edda behauptet, wird in Die Wohnung nicht konkret widerlegt, aber die Zweifel daran werden doch nachdrücklich angedeutet.

Was geht nun aus der Lektüre dieses Buch hervor? Mildenstein erweist sich hier zumindest als absolut auf Parteilinie, was seine Interpretation der Zeitgeschichte und den Antisemitismus anlangt. Der «Autowanderer», der in Begleitung seiner Frau mit seinem Mercedes Emil unterwegs ist, macht schon in Graz die erste einschlägige Beobachtung. Der örtliche Mercedes-Vertreter erklärt einen Mangel an Putzlappen folgendermaßen: «Sehen Sie, (…) seit vor einem Jahr alle Juden unsere Stadt fluchtartig verlassen haben, hat sich bis jetzt niemand gefunden, der ihre Nachfolge im Lumpenhandel antreten will. Darum sind Graz bis zum heutigen Tag die Putzlappen, die ja aus Lumpen hergestellt werden, rar.»

Nach diesem ersten Ausblick auf ein lumpen- und judenfreies Großdeutschland fährt Mildenstein weiter nach Ungarn, wo er sich Gedanken über die Haarfarben der Völker macht: «Nein, der echte Ungar ist nicht häufiger schwarz als der Deutsche. (…) Bestimmt schwarz sind nur die Zigeuner (…) oder Juden.» Die ganze Fahrt durch die Balkanländer ist von einer Verehrung für den Türkenbesieger Prinz Eugen von Savoyen durchwirkt, den Mann, der die «Brustwehr des Abendlandes» sichern konnte.

In Palästina gibt er eine strikt interessenpolitische Interpretation der Balfour Declaration: «Die Wünsche der ostjüdischen Zionisten nach einem Judenstaat in Palästina paßten gut ins Programm.» Passten den Engländern gut ins Programm, die nach Meinung von Mildenstein den «Gegensatz zwischen Juden und Arabern» förderten, weil dieser ihrer Besitzergreifung des Landes nur förderlich sein konnte. Von dem NS-Zionisten, der Mildenstein auch in der Darstellung Goldfingers um 1933/34 noch gewesen war, ist hier nichts mehr geblieben. «Mit Englands und Judas Hilfe scheint aus dem ‹Gelobten› ein ‹Verfluchtes› Land geworden zu sein.»

Die interessantesten Passagen des Buchs ergeben sich aus den letzten Stationen, die Mildenstein auf seiner Vorkriegsfahrt erreichte. In Libyen stößt er auf eine italienisch-faschistische Kolonialpolitik, die ihn nachhaltig fasziniert. «Bauern und zugleich Soldaten sind es, die der Steppe Libyens ein neues Leben geben.» Befriedigt stellt Mildenstein fest, dass «das faschistische Italien auch auf dem Gebiet des Straßenbaues die Tradition des altrömischen Imperiums würdig fortgesetzt hat». Denkt er, während er mit hundert Sachen die Litoreana entlangbraust. In der behördlich gesteuerten Siedlungspolitik sieht er ein Modell, das ein örtlich Zuständiger so erläutert:

Ja, dieses Kolonisationswerk stellt in der Geschichte der letzten Jahrhunderte etwas Einmaliges dar. Es ist der erste gelungene Versuch, in den Schwarzen Erdteil ein Weißes Afrika vorzutreiben. Darin unterscheidet sich ja unsere Kolonisationsmethode so grundlegend von der englischen. Während der Engländer nur bemüht ist, ein fremdes Land zu beherrschen und aus ihm durch die Arbeit der Eingeborenen möglichst viel herauszuholen, wollen wir den Wert unseres Landes durch unsere eigene Arbeit heben. Wir nehmen dabei einem Eingeborenen etwas weg, weder Land noch Arbeit. Im Gegenteil. Unter unserer Anleitung verbessert er seine Erträge und findet im Rahmen unserer Aufbauarbeit zusätzliche, gut bezahlte Erwerbsmöglichkeiten.

Auch über die mediale Integration der Siedler macht Mildenstein sich Gedanken. «Rundfund, Film, Theater und Berufsschulung» sollen die Verbindung zur Heimat gewährleisten. «Hier ist kein Raum für den Typ des Hinterwäldlers.»

In Bengasi sieht Mildenstein sich auch noch einmal zu einer rassenpolitischen Großeinschätzung veranlasst:

Bengasi ist, was den italienischen Sektor der Bevölkerung betrifft, eine Soldaten- und Beamtenstadt. Schon italienische Kaufleute sind verhältnismäßig selten. Ein gut Teil der Geschäfte im Europäerviertel ist immer noch in den Händen von Juden, die in Bengasi weder im Europäer- noch im Araberviertel rar sind. Mit den Arabern, den bisherigen Herren des Landes, lebten sie seit je in Todfeindschaft. Deshalb begrüßten und unterstützten sie die Besetzung des Landes durch die Italiener, von denen sie sich Förderung versprachen. Sie nutzten die verflossenen zwei Jahrzehnte der italienischen Herrschaft auch schon weidlich aus, und hätten die Italiener nicht in den letzten Jahren ihre Judengesetze erlassen und entsprechend zur Geltung gebracht, es hätte leicht passieren können, daß ihnen die Juden aus Bengasi und besonders auch aus Tripolis ebenso über den Kopf gewachsen wären, wie deren Vorfahren einst den alten Römern.

Die Fahrt endet mit einem Besuch bei dem italienischen Generalgouverneur, Marschall Balbo, in Tripolis, der Mildenstein einlädt, den nächsten «Zug des Zwanzigtausend» (italienischer Siedler) nach Libyen zu begleiten.  Dies wird durch den Ausbruch des Krieges verhindert, dem Mildenstein im letzten Satz seines Buches einen eigenen Akzent gibt: «Wir standen auf der dunklen Promenade (von Reggio di Calabria) unter den leisen wiegenden Palmen und blickten noch einmal hinüber nach Messina, nach Sizilien, nach Afrika. Das Vorahnen des Krieges lag schon in der Luft. Dort drüben würde, ja mußte die Entscheidung fallen über die Zukunft des Mittelmeeres. –»

Naher Osten – Vom Straßenrand erzählt ist sicher kein allzu wichtiges Buch. Es zeigt einen Beobachter, der alles geradezu schulmäßig in den Kategorien der NS-Politik sieht, einer Politik, die damals, auf dem Höhepunkt des faschistischen Selbstbewusstseins, glaubte, in großem Maße Ordnung schaffen zu können. Mildenstein geht so weit, dass er das Maß für diese Ordnung im Imperium Romanum findet. So sieht die Sache eben aus, wenn man sie von Mare Nostrum aus sieht.

Leopold von Mildenstein: Naher Osten – Vom Straßenrand erlebt (Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1941)