video/installation

4. Mai 2011

Chinoiserie Isaac Juliens Videoinstallation Ten Thousand Waves

Von Ekkehard Knörer

Neun Leinwände, im Videoschauraum im Keller des Museums Brandhorst in München so verteilt, dass man niemals alle davon im Blick haben kann. Zwei in der Mitte, die den Blick auf mindestens eine Leinwand an der Wand je verstellen. Eine Hierarchie oder stabile andere Ordnung zwischen den Schauplätzen gibt es nicht, auch keine direkte Korrelation mit den drei bis vier Schichten, aus denen TEN THOUSAND WAVES besteht. Vielmehr verteilen sich ähnliche Bilder je einer der Schichten assoziativ über den Raum, atmosphärisch eindeutig (und zwar eindeutig atmosphärisch) ist nur der ausgefeilte Soundtrack aus Tönen und Stimmen, der die Bilder weniger illustriert und begleitet, als dass er sie als eine Art Medium in sich aufhebt.

Als charismatischer Shifter zwischen den Szenen und Zeiten und Materialschichten schwebt Maggie Cheung in weiß wallenden Gewändern durch die Installation. Julien bedient sich hier im chinesischen Legendenkalender: Cheung ist die Göttin Mazu, bürgerlicher Name: Lin Moniang, Schutzgottheit von Menschen in Seenot. Zwischen den Hochhäusern von Shanghai fliegt sie ebenso wie als Geleiterin von Wandernden in beeindruckender Bergwelt. In einem der interessantesten Momente des Videowerks sieht man Cheung an Wirework-Seilen vor dem green screen. Doch auch hier schwebt sie noch (der Soundtrack tut weiter das seine dazu), die Entzauberung durch den Blick hinter die Effektkulissen findet nicht statt. 
 
In einer zweiten Schicht spielt, teils als Traum, chinesische Kinogeschichte eine wichtige Rolle. Ins Goldene Zeitalter der Shanghai-Filmindustrie geht Julien mit einem slicken Remake von Momenten aus dem Klassiker SHEN NU (THE GODDESS) zurück. Gänge durch im Studio erbaute historische Viertel und gemeinsames Sitzen mit Freier vor attraktiv-ornamentalem Hintergrund. Wiederum kommt es hier zur Verschränkung von Spielszenen und kurzem Wegstellen der Vierten Wand. Historienfilmmäßig rumpelt die Straßenbahn durch das Bild, vielmehr rumpelt sie im Plural durch die raumum verteilten, verschobenen, sich verschiebenden Bilder.

Darauf folgt der Blick auf die Straßen der Dreißiger Jahre als Set, die Kamera wird ausdrücklich mitgefilmt. Medienreflexiv kommt als Hommage hinzu, dass den Freier im  SHEN-NU-Remake der chinesische Videokünstlerkollege Yang Fudong spielt. All das aber sind mehr Gesten als wirkliche Brüche: Isaac Julien ist so smart, nicht nur das Slick-Erhabene, sondern zugleich auch die reflexive Rückseite mitzuführen. Mag sein, dass er zum Schein das Erhabene dadurch oberflächlich jedenfalls bricht. Slick aber bleibt alles, was Julien tut. Ja, umso slicker, als er auch Reflexionswerte zu ihrem Gegenteil, nämlich Schauwerten zu machen versteht.

Als eigentlicher Gegenpol der Göttinnen und Götter der Legende, des Kinos und der Videokunst fungiert ein brutales Reales: die furchtbare Geschichte vom Tod  23 illegal nach England eingereister Chinesen, die im Jahr 2005 als Muschelsammler in einer Bucht vor Liverpool elend ertranken. Hier wird dokumentarisches und entsprechend unscharf-verwackeltes Bildmaterial eingespeist (an einer weiteren Stelle des Films sieht man historische Aufnahmen kommunistischer Aufmärsche), auf der Tonspur hört man die Stimme einer Frau, die Zeugin des Geschehens war und telefonisch Hilfe herbeiruft. 

TEN THOUSAND WAVES ist ein Videofilm, der den Kuchen der Attraktivität essen und dabei ein gutes politisches Gewissen behalten will. Jede Bewegung ins bloß Schöne und gar ins Erhabene (was wäre erhabener und schöner als eine strengen Blicks durch den Raum schwebende Maggie Cheung) wird postwendend konterkariert, aber nicht dementiert. Politische Gehalte sind zwischen den schönen Bildern und Tönen präsent, werden aber nicht ausformuliert, sondern vom sie umgebenden Material in der Schwebe gehalten. 

Diese Schwebe hat mit gegenseitiger dialektischer Durchdringung, Kritik oder Kommentierung wenig zu tun. Die daoistische Göttin und der Film aus den Dreißigern sind rein motivisch mit dem Unglücksfall assoziiert, bleiben damit ihrem Wesen nach aber unverbunden. Im schlimmsten Fall bleibt als gemeinsamer Nenner die bloße Chinoiserie. Das «Reale» ist nicht der Punkt, auf den das mit so großem Aufwand Inszenierte hinausliefe; im Gegenteil wird es als Element neben anderen in den politisch völlig entschärften, im historischen und geografischen Selbstbedienungsladen zusammengekauften Erhabenheitszusammenhang eingefügt. Der reale historische Vorfall verliert mithin im von Isaac Julien geschaffenen Kontext seine wirkliche Referenz und damit seine entscheidende Würde: vom Tod realer Menschen zu handeln. Das macht TEN THOUSAND WAVES geradezu zum – selbstredend sauteuren – State of the Videoart als Muster verlogener pseudopolitischer Kunstsammlerkunst.

Isaac Julien. Ten Thousand Waves. Museum Brandhorst, München