fundbüro

3. Februar 2022

Weg mit ADDIO, ONKEL TOM

Vignette zu Fundstück #2

Von Cecilia Valenti

 

Das «Archivio Storico della Nuova Sinistra ‹Marco Pezzi›» ist ein Archiv ‹von unten› – eine freie Sammlung, die explizit eine minoritäre Position gegenüber hegemonialen Archivinstitutionen vertritt und graue Literatur aus der frühen Zeit radikaler linker Bewegungen erschließt (überwiegend aus der Region Emilia-Romagna). Darunter finden sich vor allem Flugblätter, Kongressberichte, Veranstaltungsflyer, Zeitschriften mit geringer Auflage sowie Plakate aus den 1960er- und 70er-Jahren, die Marco Pezzi, ein militanter Anhänger der Studentenbewegung und später Teil der Gruppe «Avanguardia Operaia» in Bologna, unsystematisch und dennoch konsequent privat gesammelt und aufbewahrt hatte.

Auf Initiative von Freund*innen wurde dieses Konvolut nach Pezzis Tod 1989 erfasst, geordnet und somit zum ‹Archivgut› deklariert. Nicht selten haben sich in die Archivalien Alltagsspuren eingeschrieben: eine schnell notierte Telefonnummer, eine handgeschriebene Notiz auf einem verblassten Blatt Papier, dem manchmal eine Ecke fehlt, so dass man daran denken kann, dass daraus ein erfinderisch improvisierter Filter für eine gedrehte Zigarette wurde. Das «Archivio ‹Marco Pezzi›» dokumentiert neben der Geschichte konkreter Kämpfe neulinker Bewegungen also auch die prekären Umstände des Lebens und der politischen Praxis im Kollektiv.

Da das Archiv über keinen offiziellen Sitz verfügt, ist es für das Publikum nicht ‹direkt› zugänglich, sondern dezentriert über Umleitungen. Angefragte Bestände werden an das Bologneser Istituto Storico Parri, ein regionales Geschichtsinstitut zum antifaschistischen Widerstand in Italien, geliefert und sind dort einsehbar. Solche infrastrukturellen Unterstützungsleistungen schließen an Überlegungen zu historiografischen Praktiken linker Erinnerungskultur an, wenn man bedenkt, dass das Sich-Berufen auf die Resistenza ein zentrales Moment im Selbsthistorisierungsdiskurs der europäischen Neuen Linken bildet.

 

Istituto Storico Parri, September 2021

© Cecilia Valenti

 

Als ich im September 2021 nach Bologna reiste, war ich in eine Recherche über transnationale Spuren in Archiven der italienischen Neuen Linken vertieft und von der Frage getrieben, ob marginalisierte und minoritäre Sammlungen, in einer globalgeschichtlichen Dimension untersucht, neue Verbindungslinien jenseits von Hierarchien wie Zentrum und Peripherie in Erscheinung treten ließen.

Im Bestand des «Archivio ‹Marco Pezzi›» recherchierte ich also vor allem in Konvoluten, die Netzwerke der internationalen Solidarität mit den antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfen im «Trikont» dokumentieren. Insbesondere befasste ich mich mit zwei Faszikeln, die mit «Studenti stranieri in Italia» und «Federazioni studenti africani» beschriftet waren.

Die darin archivierten Materialien zeugten an unterschiedlichen Stellen von einem Kampf, der 1971 von internationalen Studierenden der Università di Bologna initiiert und ausgetragen worden war: Zwischen dem 8. und 12. Oktober 1971 demonstrierten schwarze Studierende und Studierende of Color vor den Kinos Royal und Arcobaleno gegen einen rassistischen Spielfilm, der zu jener Zeit aufgeführt wurde: Gualtiero Jacopettis und Franco Prosperis ADDIO ONKEL TOM. Zumindest aus zwei Gründen erscheint mir diese Auseinandersetzung im Kontext des «Archivio ‹Marco Pezzi›» als besonders: erstens, weil es dabei nicht um westliche Aktivist*innen und deren solidarische Unterstützung «anderer» ging, und zweitens, weil darin das Kino als Ort der Gegenöffentlichkeit eine zentrale Rolle spielte.

Es war die «Assemblea degli studenti africani in Italia» (Versammlung der afrikanischen Studentenschaft in Italien), die durch Flugblätter «die breite Masse der Bevölkerung von Bologna» zum solidarischen Demonstrieren gegen filmischen und institutionellen Rassismus in der italienischen Gesellschaft aufrief. Eines dieser Dokumente habe ich übersetzt.

(Ganz herzlich möchte ich mich bei Fabrizio Billi vom «Archivio ‹Marco Pezzi›» für die Bereitstellung des Archivmaterials bedanken.)

 

 

Weg mit ADDIO, ONKEL TOM, einem rassistischen, antiafrikanischen, kolonialen Film!

Die afrikanische Studentenschaft hat sich massenhaft mobilisiert und führt seit drei Tagen einen entschlossenen Kampf gegen den Film ADDIO, ONKEL TOM, der zurzeit in Bologna und anderen Städten aufgeführt wird.

Dieser rassistische, koloniale, faschistoide Film hat alle afrikanischen Studierenden tief empört.

Wir, die Studierenden, die sich zum Kampf gegen den Film erhoben haben, wurden von der Polizei wiederholt brutal unterdrückt.

Zwei afrikanische Studierende sind schwer verletzt worden und liegen im Krankenhaus, wo ihnen eine ordentliche medizinische Versorgung verwehrt wird und sie sich in ernster Lebensgefahr befinden.

Worauf zielt dieser Film ab?

• Auf das Niedertrampeln des gerechten und mächtigen nationalen Befreiungskampfes der afrikanischen Völker – in Südafrika, Simbabwe, Namibia, Mosambik, Angola etc. – und der afroamerikanischen Bevölkerung, welche der jahrhundertealten Herrschaft der Sklavenhalter im Kolonialismus, Neokolonialismus und Imperialismus gerade harte Schläge zufügen.

• Auf die Anstiftung zum Chauvinismus und zum Rassenhass in der italienischen Massengesellschaft als einem verzweifelten Versuch, das italienische Volk gegen die unterdrückten afrikanischen und afroamerikanischen Bevölkerungen mitsamt jenen aus Asien, Lateinamerika und der ganzen Welt aufzuhetzen; mit der verzweifelten Absicht, das unaufhaltsame Zusammenfließen der revolutionären Kämpfe der Völker Afrikas, Italiens und der ganzen Welt zu verhindern, in einem einzigen revolutionären Strom, der den gemeinsamen Feind – den Imperialismus – für immer fortspülen wird.

• Auf die Verschlechterung einer bereits ernsten Lage der politischen und materiellen Unterdrückung afrikanischer und ausländischer Studierender in Italien und auf die Vertiefung ihrer rassistischen Diskriminierung, und zwar im Leben (bei der Wohnungssuche, bei der Arbeit etc.) wie auch im Studium. Zu verhindern, dass sie sich immer mehr bewusst werden, dass ihre Befreiung aus der Unterdrückung und ihr Streben nach Gerechtigkeit mit dem nationalen Freiheitskampf ihrer Völker zusammenhängen.

Die italienischen imperialistischen Monopole verschleiern die großen Auflehnungen und den hartnäckigen Widerstand der afrikanischen Völker gegen die imperialistische Macht und die Sklaverei und stellen Afrikaner als zahme Tiere und unterwürfige «Onkel Toms» dar. Sie versuchen dabei, die italienische Masse zu gewinnen und zur Kollaboration zu bewegen für ihre Politik der Unterdrückung und der grausamen Ausbeutung der afrikanischen und weltweiten Völker. Ein Versuch, der von vornherein zum vollkommenen Scheitern verurteilt ist, insbesondere wenn versucht wird, die afrikanischen Studierenden selber in eine antiafrikanische und antidemokratische Politik miteinzubeziehen.

Wir, die afrikanischen Studierenden, verurteilen diesen verbrecherischen Film und alle, die dessen Einstellungen teilen; wir verurteilen imperialistische und rassistische Kreise, die diesen Film finanziert haben, wir verurteilen all diejenigen, die ihn als «prinzipiell antirassistisch» durchgehen lassen. Wir fordern mit Nachdruck das sofortige Zurückziehen des Films. Wir appellieren an alle ausländischen und italienischen Studierenden, die Arbeiterklasse und die breite Masse der Bevölkerung von Bologna, unseren Kampf zu unterstützen und massenhaft an der Kundgebung teilzunehmen.