medienbeobachtung

19. März 2013

Weltmarktführer im Büßen Zu Unsere Mütter, unsere Väter

Von Ekkehard Knörer

Manche Dinge, die einem vorgesetzt werden, sind ja so evident dumm und rundum nicht satisfaktionsfähig, dass man die Schulter zuckt und sich lieber mit dem nächsten Schönen, Wahren und Guten oder doch wenigstens dem auf interessante Weise Verfehlten befasst. Genauer gesagt sind sehr viele Dinge so, quasi die meisten. Was das ZDF grade mal wieder in seinem History-Wahn präsentiert, eine dreiteilige Serie namens Unsere Mütter, unsere Väter ist von der Sorte. Eine Nazi-Oper, die ein bisschen schuldbewusst tut, indem sie fünf junge Deutsche Richtung Ostfront befördert und dort zusehends weniger edel und aufrecht und hilfreich sein lässt – die in Wahrheit aber nur mal wieder die alte Mär vom bösen Krieg und noch böseren Hitler erzählt, der die Nation überfiel und aus im Grund ihres Herzens guten Deutschen beinahe fast so etwas wie böse Menschen werden lässt. Verteufelt moralisch das ganze. Mit dem üblichen musikalischen Dauerschrumm, mit gelegentlichen Parallelmontagen stur runtererzählt, die sehr moderat wackelnde Kamera tut ein bisschen so, als orientierte man sich an avancierten US-Fernseh- und Kinoformaten. In Wahrheit bleibt das alles davon aber Welten entfernt, da mag der Kugelhagel noch so rundumvertont und virtuos sprützen. Es ist ganz und gar das drin, was auch draufsteht: nämlich Nico Hofmann und seine Produktionsfirma teamworx, die ihre Verdienste haben mögen, sich die Welt, wenn es um Historisches geht, aber verlässlich und unter wildem Spektakelgetöse an fünf Fingern abzählen.

Also ganz der übliche Schmonzettenrotz, mit Schtzngrmm und Krankenschwester und intellektuell und sowieso knapp überm filmdramaturgischen und geschichtserzählerischen Analphabetentum. Ignorierte man besser weg, drehte nicht die Journaille am Rad. Frank Schirrmacher sieht, oberpathetisch wie stets, die letzte Chance zur Generationenversöhnung durch Vergangenheitsaussprache. Mit Formulierungen wie «Selten zuvor beispielsweise hat man so sehr verstanden...» oder «Und eigentlich noch nie hat man so klar sehen können» adelt Schirrmacher das Klippschulfernsehen auf eine Weise, die man eigentlich nur mit Umnachtung irgendwie entschuldigen bzw. nur mit seiner bekannten Quartals-National-Schuld- und Schande-Besoffenheit erklären kann, deren logische Folge der nächste Courage-Bambi für wen der Beteiligten auch immer sein dürfte. Burda ist da sicher zu Diensten.

Aber gut, Schirrmacher nimmt eh keiner ernst. Könnte man also weiter ignorieren, wäre da nicht, und zwar flächendeckend, der Rest, dem die Ansicht des Machwerks offenbar den Verstand weggeschossen hat. Nikolaus von Festenberg gibt im Tagesspiegel den Franz Josef Wagner der Fernsehkritik und preist mit höherer Quatschdialektik den faktischen Unsinn des Films: «Zur historischen Wahrheit im fiktiven Fernsehen gehört neben Faktentreue auch eine kleine Rebellion gegen die Fakten, die trotzdem der Wahrheit dient.» In der FR/Berliner Zeitung macht Klaudia Wick deutlich, dass sie vom amerikanischen Serienwesen so wenig begreift wie vom deutschen, indem sie letzteres schamlos mit Rotz wie dem vorliegenden im selben Atemzug nennt. In der Süddeutschen und der Welt wird eifrig mittremoliert und Jürn Kruse in der taz klingt, als habe er den Film noch gar nicht gesehen, aber man kann ja schon mal groß einsteigen mit einem sehr PR-nahen Vorabbericht.

Es fragt sich angesichts dieser wahrlich beeindruckenden Rundumversorgung mit Desinformation dann doch wieder manches. Wollen, können oder dürfen die versammelten Fernsehkritikernasen nicht sehen, was ihnen da präsentiert wird? Oder anders: Was zum Teufel sehen die da? Nun, zum einen sehen sie natürlich die 14 Millionen, die da an deinem und meinem Geld (10 Mio Fernsehgebühr, 4 Mio Filmfördergelder) drin stecken. Das sind, rechnet man es in die im deutschen Fernsehen übliche Währung um, genau 10 Tatorte, wenn auch nicht mit Til Schweiger, der ja eine TV-Zonenzulage gekriegt hat. Da kann man Schlachten so schlagen, dass das Werbefilmerherz hüpft und irgendwie hüpft die Fernsehkritik, die tagein tagaus handwerklich fast nur noch erbärmlicher Gemachtes sieht, dann eben mit. (Das muss man zur Ehrenrettung doch sagen: Kein Filmkritiker durfte oder wollte irgendwo über den Dreiteiler schreiben. Die Maßstäbe sind bei der Fernsehkritik andere. Das macht sie ja auch in weiten Teilen unlesbar.)

Näher kommt man der Erklärung sicher durch die nähere Betrachtung dessen, was an Unsere Mütter, Unsere Väter am allerdämlichsten ist, der Dialoge und des Off-Erzählertexts nämlich. Was da aus den Mündern der keineswegs unbegabten Darsteller purzelt, ist nicht einfach nur dead on arrival. Das auch. Vor allem aber wird immer alles schön ausbuchstabiert. Ohne Subtext, ohne Witz, ohne Gefühl oder Sinn, das sowieso, für die historische Sprache. Im Grunde leistet das Drehbuch von Stefan «Der Kopf, aus dem die Bilder kommen» Kolditz nur eins, das aber überaus gründlich: Es verliert für keinen Moment die Schulbücher aus den Augen. Man kann eigentlich jede Szene, jeden Satz, jedes Wort so erklären, dass es nur um dies eine ging – ein fiktionalisiertes Geschichtsbuch für die Oberstufe Wort für Wort zu verfilmen. Das macht die Sache natürlich handlich. Aus dem Off wird zur Orientierung 1:1-Text vorgetragen. Und die Szenen sind Bild für Bild ausschließlich Illustration. Das hat mit Didaktik alles und mit Kunst nichts zu tun.

Kein Wunder, dass die Kritik so gern und überaus ausführlich drüber schreibt. In einem Land, in dem Ambiguität (vgl. Hart aber Fair von neulich) ein schmutziges Wort ist. In dem ein Typ wie Dieter Kosslick mit seinem lächerlichen Begriff von politischem Kino nicht einfach verlacht wird. In dem alle es lieben, wenn ihnen ambivalente Charaktere mit aller Eindeutigkeit als solche ein- und vor- und hingehämmert werden. Unsere Mütter, unsere Väter ist ein von jeder inneren ästhetischen Spannung befreites Volkserziehungsunternehmen. Dafür ist Geld da. Bei sowas steht das versammelte Feuilletonwesen Nationalhymne bei Fuß. Man identifiziert sich aber sowas von hundertprozentig mit der didaktisch-erzieherischen Intention. Der böse Krieg unterm bösen Hitler ging unter unseren Müttern, Großmüttern, Vätern und Großvätern wohl verloren. Schlimmer noch: Wir sahen nicht gut aus dabei. Wäre aber gelacht, ließe sich da nicht nachträglich noch etwas machen. Schließlich sind wir Knopp (und teamworx) sei Dank das historisch besterzogene Volk der Welt. Weltmarktführer quasi im Büßen. Und da haben wir ihn dann wieder: Unseren moralischen Sieg. So viel Verlogenheit sollte man besser wirklich nicht ignorieren.

P.S.: Wenngleich irgendwann ausschalten sollte man schon. Ich habe genau die Hälfte der 3 mal 90 Minuten gesehen. Strafe genug.