medienbeobachtung

3. Oktober 2013

Extremsegeln im Medienverbund Zum America's Cup 2013

Von Tom Holert

 

Für Zuschauersportfreunde weltweit, die sich täglich zwei Stunden freinehmen konnten und außerdem an der Live-Berichterstattung über eine abrupte Beschleunigung in der Entwicklung des Segelsports interessiert waren, war der vergangene September ein absoluter Wonnemonat. Die 21 (davon 19 gewerteten) Finalrennen des diesjährigen America’s Cup (7.-25. September), ausgetragen zwischen Golden Gate Bridge und Alcatraz in der San Francisco Bay, verhalfen aber auch der medialen Aufbereitung eines für Außenstehende notorisch hübsch anzusehenden, aber ansonsten kaum verständlichen Wettkampfgeschehens zu ungeahnter Popularität. Die, wie immer wieder betont wird, «älteste» Sporttrophäe der Welt, eine legendär hässliche Silberkanne, wird seit 1851 alle drei bis fünf Jahre in einem Duell zweier Boote, die je eine Nation repräsentieren, ausgesegelt. Der Sieger des jeweils letzten Cups diktiert die Bedingungen, vor allem legt er fest, mit welchen Booten gesegelt wird. Larry Ellison, Gründer von Oracle und als 36-facher Milliardär angeblich das fünftreichste Individuum der Welt, hatte 2010 vor Valencia unter ominösen Umständen den Cup gegen das schweizerische Alinghi-Konsortium gewonnen. Er entschied daraufhin, statt wie bisher mit Einrumpfbooten solle der America’s Cup 2013 auf gigantischen, 22 Meter langen und 14 Meter breiten Katamaranen gesegelt werden, die sich auf den meisten Kursen und bereits bei mittleren Winden auf Tragflächen heben, um auf diese Weise eher fliegend als schwimmend Geschwindigkeiten von über 40 Knoten erreichen, was auf dem Wasser etwa dem Tempo von Raketenautos bei Rekordfahrten auf entlegenen nordamerikanischen Salzseen entspricht. 

Anstelle eines traditionellen Segels sind die AC72 mit starren, 40 Meter hohen Flügeln ausgestattet, weil diese Boote, die selbst auf Kursen gegen die Windrichtung schneller als der Wind segeln (und damit gewissermaßen ihre eigenen Windverhältnisse schaffen) nur auf diese Weise einigermaßen manövrierfähig bleiben. Elf Männer (ja, gegendert ist diese Veranstaltung als homosoziale Testosteron-Show), Profis, die aus allen Bereichen des Leistungssports kommen, vor allem aber natürlich aus anderen Bootsklassen, wo sie auf höchstem Niveau segeln (der Brite Ben Ainslie, vierfacher Olympiasieger im Finn Dinghy, tat Dienst als Taktiker bei Oracle Team USA), kurbeln sich an den Winschen als muskelbepackte grinder die Lungen aus dem Leib und müssen dabei permanent Entscheidungen hinsichtlich Technik und Taktik treffen.

Noch im Frühjahr 2013 wusste eigentlich niemand genau, ob die AC72-Ungetüme überhaupt beherrschbar sind. Eine haarsträubende Vornüber-Kenterung (capsize) von Oracle Team USA im Oktober 2012 war schon knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, die wohl das vorzeitige Ende dieses Wettbewerbs bedeutet hätte (hier findet sich ein Video dazu). Im Training in der Bucht von San Francisco aber starb im Mai 2013 bei einer Kenterung ein Besatzungsmitglied des schwedischen Herausforderers Artemis. Andrew Simpson, der britische Silbermedaillengewinner im olympischen Starboot von 2012, wurde von einer der Kufen des AC72 unrettbar unter Wasser gedrückt: das erste Menschenopfer der Materialschlacht. Aber zu diesem Zeitpunkt war bereits zuviel Geld und Ingenieursarbeit in die Entwicklung der Katamarane und in die Ausbildung des Teams an Land wie zu Wasser geflossen (allein Larry Ellison soll 200 Millionen Dollar in seine Kampagne investiert haben), als dass ein – vielfach geforderter – Abbruch des Wettbewerbs noch realistisch gewesen wäre. Mit anderen Worten, das ganze Unternehmen befand sich, trotz heftiger Kritik aus der Segelwelt, bereits in einem Stadium des «too big to fail». Dazu passt, dass Julian Guthrie, die Autorin eines Bestsellers über die Oracle-Kampagne (The Billionaire and the Mechanic: How Larry Ellison and a Car Mechanic Teamed Up to Win Sailing's Greatest Race, the America's Cup), Monate vor dem Start des ersten Finalrennens bei einem Vortrag vor Google-Mitarbeitern verkündet, dass sie bereits die Filmrechte an ihrem Buch verkauft habe (hier bei «GoogleTalks» im Gespräch).

Und Virtual Eye, eine Abteilung von Animation Research Ltd., einem neuseeländischen Softwareunternehmen, das Digitalisierungen von «natürlichen» Bildern in Animationen betreibt, hatte zu dem Zeitpunkt des tödlichen Unfalls längst Smartphones als erweitertes Spielfeld des gefährlichen Hochgeschwindigkeitssegelns entdeckt und eine App zu einem Geschwindigkeitstest von Oracle Team USA, inklusive Kenterung, entwickelt. 

Das lief natürlich alles ganz im Sinne des Oracle-Gründers, denn Ellison hat immer wieder betont, dass er Segeln als Extremsportart für die Facebook- und Computerspielgeneration neu erfinden wollte; und die AC72-Katamarane mit ihren futuristischen Gladiatoren-Teams, die aussehen wie American-Football-Quarterbacks als Navy SEALs in einem Rollerball-Remake, sind die perfekten kontroversen Vehikel, um neue Aufmerksamkeit für eine Randsportart zu generieren. Dass das Red-Bull-Logo die Helme des Oracle-Teams ziert, passt zu dieser Philosophie. Segeln soll aus dem Symbolraum von Luxus und Gediegenheit in die Emergency-Zone von Funsport, Jugend und paramilitärischen High-Risk-Abenteuern überführt werden.     

Denn Segeln, so denken wohl die meisten, ist potentiell bestimmt eine aufregende Sache, solange man sich selbst in einem Boot auf dem Wasser befindet. Aber schon vom nahen Ufer aus fällt es schwer nachzuvollziehen, worum es bei einer Regatta eigentlich geht, was die Guten besser machen als die, die weiter hinten liegen, wenn sich überhaupt ohne weiteres erkennen lässt, wie es um die Reihenfolge im Feld gerade bestellt ist. Ein anspruchsvolles Regelwerk (von der schlichten Vorfahrtsmaxime Backbordbug vor Steuerbordbug bis zu den vielen Abseitsregeln des Segelns, etwa bezüglich der Erlangung der Innenposition im Dreilängenkreis), geheimnisvolle Manöver (Wende? Halse?) und die aero- und hydrodynamischen Finessen des Bootstrimms haben diesem Sport den Ruf einer Geheimwissenschaft oder doch zumindest eines Schachspiels im nassen Element eingetragen. Zudem handelt es sich um eine Freizeitaktivität, die in Leistungssportregionen und spätestens bei Hochseeregatten nur mit hohem finanziellen und zeitlichen Aufwand betrieben werden kann. Das Fernsehen winkte gewohnheitsmäßig ab – zu unpopulär, zu kryptisch, zu langweilig. Selbst bei Olympischen Spielen wurden Segelfans bis vor kurzem mit mehr oder weniger beliebigen Zusammenschnitten unverbundener Wettfahrtsszenen abgespeist.

 

 

Aber seitdem segelbegeisterte Millionäre (ach was, Milliardäre) aus der Softwarewelt wie eben Ellison oder Hasso Plattner von SAP in das Design entsprechender Programme (SAP Sailing Analytics, siehe Bild oben)  investieren, und Automobilhersteller wie BMW, Volvo oder Audi als Sponsoren auftreten, verändert sich die Position des Segelns im Sportmedienkonzert. Bei den Olympischen Spielen von 2012 auf den Regattakursen vor Weymouth wurde erstmals im großen Stil demonstriert, wie sich unter bestimmten Bedingungen (überschaubares Revier, Hubschrauberkameras) neben den Live-Bildern die wichtigsten Daten rund um eine Regatta visuell-grafisch so präsentieren lassen, dass leichter als je zuvor nachvollzogen werden kann, wie die einzelnen Boote positioniert sind, wie es um Windstärke und -richtung in den verschiedenen Zonen des Kurses steht, wo welche Strömung herrscht und welche Optionen die Mannschaften in einer bestimmten Wettkampfsituation haben. Gesetzt den Fall, ausreichend Kameras sind im Einsatz, um die Action aus der Luft wie von Begleitbooten auf dem Wasser zu filmen, entstehen Bilder, die auch für ein Laienpublikum attraktiv sind – ganz zu schweigen von Leuten, die selber segeln. Nie zuvor schalteten sich so viele Zuschauer wie in den Wochen der olympischen Segelwettkämpfe vor Weymouth per Computer zu, um auf dem eigens eingerichteten Videokanal die entscheidenden Wettfahrten als Livestream zu verfolgen oder später im Replay-Modus eine Feinanalyse der Wettfahrt durchzuführen. Auf GPS-Basis wurden die Geschwindigkeitsdifferenzen der einzelnen Boote sowie Abstände zwischen den Kontrahenten oder zur nächsten Bahnmarke angezeigt. Zwischen die Livebilder wurden Animationen geschnitten, die das Wettkampfgeschehen in bewegte Diagramme übersetzen, in denen auch „unsichtbare“ Phänomene wie Wasserströmung und Wind visualisiert werden, um besser beurteilen zu können, wie welche Faktoren auf den Verlauf des Rennens einwirken.

Das televisuelle und computergrafische Spektakel der Olympischen Spiele wurde in diesem Jahr nun auf eine so nicht erwartete Weise überboten. Die mediale Resonanz auf den America’s Cup 2013 war größer als bei jedem anderen Segelereignis der Vergangenheit. Die Gründe sind vielfältig. Die San Francisco Bay mit ihren diversen Landmarks bot nicht nur eine malerische Kulisse, sondern auch die relative Geschlossen- und Überschaubarkeit einer Arena. Bis zu zwei Rennen fanden am Tag statt, die jeweils nicht länger als ca. 30 Minuten dauerten. Die Übertragungen ließen sich global verfolgen, in Deutschland berichtete der Red-Bull-Sender «Servus», wobei die allermeisten Zuschauer wohl den America’s Cup-YouTube-Channel benutzt haben dürften, wie er auf dem hervorragenden Portal Segelreporter.com eingebettet war, wo man wenige Stunden nach Beendigung eines Wettfahrtstags bereits gründliche, Virtual Eye-gestützte Analysen lesen konnte.

Dazu kam als rahmendes Narrativ eine allseits dankbar genommene David-vs.-Goliath-Asymmetrie, die das kleine Emirates Team New Zealand mit deutlich geringerem Etat (von ca. 100 Millionen Dollar, von denen 22 der neuseeländische Steuerzahler übernahm) gegen einen vermeintlich unschlagbaren Gegner wie Oracle Team USA antreten ließ. Eine prickelnde Ausgangssituation, die sich dramaturgisch noch zuspitzte, weil Ellisons Team aus lauter nichtamerikanischen «Legionären» (pikanterweise auch aus Neuseeland) bestand, während bei dem Herausforderer ausschließlich Kiwis beschäftigt waren. Zudem war Oracle Team USA wegen regelwidriger Manipulationen bei Vorabregatten zu zwei Strafpunkten verurteilt worden, was gut zum Unsympathen-Image von Ellison passte.

Wie dem Drehbuch einer höheren Gerechtigkeit gehorchend, dominierten dann die Neuseeländer überraschend die erste Hälfte des Wettkampfs, führten mit 8 zu 1 gewonnenen Rennen scheinbar uneinholbar, benötigten nur noch einen Sieg für den unwahrscheinlichen Triumph, verloren dann aber Rennen um Rennen gegen einen immer stärker werdenden Gegner. Es kam, man muss es leider so sagen, zu einem absolut «hollywoodreifen» «the winner takes all»-Showdown beim Stand von 8:8. Den um martialische Rhetorik nicht verlegenen Kommentatoren der amerikanischen Liveberichterstattung (unter anderem CBS-Veteran Ken Read) fiel es leicht, die Duell-Metaphorik und Phrasen wie «nailing down» auszureizen, zumal die Rennen tatsächlich äußerst spannend verliefen – bis zum Schluss, an dem Oracle Team USA mit dem 34-jährigen australischen Skipper Jim Spithill (auch so ein Name) seine Überlegenheit noch einmal ausspielen konnte und den Cup an einem perfekten Spätsommertag bei guten Windverhältnissen in einer wie an fast jedem Tag dieser knapp drei Wochen atemberaubend knappen Konkurrenz gewann. Und stets gab es reichlich relevantes Datenmaterial. Das Videobild aus der Hubschrauberperspektive wurde unmittelbar grafisch erweitert um visuelle Informationen zu den Strömungsverhältnissen auf dem Revier, mit Animationen der Windschleppen der Segel (zur Visualisierung der Abdeckungsverhältnisse), mit Einfärbungen des Kielwassers (um die Routen der Boote besser nachvollziehen zu können), mit einem Gitterraster, das die windabhängige Geometrie des Kurses veranschaulichte sowie ständigen Einblendungen der Geschwindigkeitsdifferenzen der beiden Katamarane. 

Ich habe dieses letzte Rennen zusammen mit einem Film- und Medienwissenschaftler geschaut, der bis dahin wundersamerweise nichts von diesem Ereignis mitbekommen hatte. Aber beim Anblick der in Höchstgeschwindigkeit dicht hintereinander über das Wasser fegenden Segelboliden verstand er sofort, was hier passiert: die Übertragung der Computerspielästhetik der Star Wars-podracings (siehe oben) auf eine maritime Realität, deren seltsam durchfiktionalisierter Charakter wiederum die Rückübertragung in die Sphäre des Digitalen deutlich erleichtert. Dass die athletischen Typen an Bord per Mobilfunk kommunizieren und Tablet-Computer auf der Brust tragen, während die Gischt über sie hinwegrauscht, kann als ein weiterer Ausweis der Hybridität des Gesehenen gewertet werden. Und wer jetzt einwendet: warum die ganze Aufregung, hat man nicht mit der Formel 1 und verwandten Sportereignissen diese Koppelung von High Tech, High Risk und Computerspielästhetik seit langem schon realisiert?, versteht leider nicht, was es heißt, den Unberechenbarkeiten und Eigenheiten des Segelns eine solche Form zu geben. Und das muss als Letztbegründung einer durch keine vernünftigen Argumente zu rechtfertigenden Faszination einmal ausreichen.