fotografie

4. Januar 2009

William Eggleston Demokratischer Betrachter von Südstaaten-Dingen und Südstaaten-Menschen

Von Ekkehard Knörer

William Eggleston hat – das ist nicht maßlos übertrieben – der Kunstfotografie die Farbe beigebracht. (1976, die erste große Eggleston-Ausstellung am Museum of Modern Art in New York. Ein Skandal, ein Wendepunkt in der Geschichte der Fotografie.) Jahrzehntelang wurde, obwohl technisch die Farbe natürlich längst möglich war, in dem Bereich, der als künstlerische Fotografie galt, in schwarz-weiß fotografiert. Magazinfotografie war was anderes. William Eggleston hat – das ist nicht maßlos übertrieben – der Kunstfotografie auch die unwürdigen Gegenstände geschenkt, genauer gesagt: ihre Banalität und ihre Beiläufigkeit. Eggleston hat nicht das Beiläufige kunstvoll fotografiert – das haben die Großen immer getan –, sondern klargestellt, dass das Beiläufige, in seiner Banalität erfasst, ein würdiger Gegenstand der Fotografie ist. Dabei war wiederum die Farbe sehr wichtig. Denn sie eben galt als banal, als pedestrisch, als zu nah an dem, was man als künstlerisch nicht bearbeitete Wirklichkeit lange verachtet hat. (Das sind Grenzen, die im Film ganz anders verlaufen. Die S/W-Farbe-Grenze der Fotografie ähnelt eher der zwischen Film- und Videomaterial im Film.)

Die künstlerische Fotografie hatte, und vielleicht hat sie ihn irgendwo noch, einen doppelten Minderwertigkeitskomplex. Erstens weil sie apparatisch ist und den Autor, an der Maschine vorbei, trotzdem ins Bild schmuggeln will. Und zweitens weil es einen Alltagsgebrauch des Apparats gibt, millionenfach, von dem sie sich auch abgrenzen zu müssen glaubt. Daher Ideologien wie die vom «decisive moment», den es – genial – zu treffen gilt, um die Wirklichkeit ihrer bloßen Wirklichkeitshaftigkeit ins Bild entheben, sie ins Künstlerische retten zu können. William Eggleston bewundert Henri Cartier-Bresson sehr, den großen Ideologen des entscheidenden Moments (eine Ideologie, die unzählige schlechte und fürs Denken und Sehen unbrauchbare Bilder hervorgebracht hat, mehr oder weniger die komplette Magnum-Schule), aber seine Bilder funktionieren anders. Sie spitzen sich nicht zu, sie sind flächig in Zeit und Raum, sie zeigen Dinge wie Menschen, Menschen wie Dinge, kleine Dinge, unbesondere Menschen, und sie bevorzugen, wenn ich eine Film-Metapher beiziehen darf, die Plansequenz; Egglestons Geste ist die eines «das war ungefähr so da, schön oder nicht, und ich habe es aufgenommen, als ich vorbeikam, und es war nichts weiter dabei, es zu fotografieren». (Eggleston: «Es geht mir darum, alles gleich zu behandeln; demokratisch, wie ich zu sagen pflege.») Es sind sehr amerikanische Dinge und Menschen, die er dabei fotografiert. Eggleston kommt aus Memphis und er interessiert sich für die Vorstädte, die Kleinstädte, das Amerika der Südstaaten, weit abseits von New York. Natürlich sind seine Bilder dann einzigartig; dafür kann er aber nichts. Sie sind so einzigartig, dass inzwischen ganze Schulen diese Geste nachahmen. Viele Fotografen in der Nachfolge des William Eggleston sind sehr gut. (Gibt es auch Fotografinnen aus der Eggleston-Schule? oder ist das dann doch wieder eine sehr männliche Geste? gibt es sogar einen Machismo der Banalität?)

William Eggleston hat auch Filme gemacht; ich kenne sie nicht [Korrektur der ursprünglichen Angabe: Sie sind in der Ausstellung zu sehen, die gerade in New York im Whitney Museum läuft und später im Jahr auch im Münchner Haus der Kunst zu sehen sein wird] würde sie aber sehr gerne einmal zu Gesicht bekommen. Und auf Eggleston komme ich eigentlich, weil es erstens ein langes Gespräch gibt, das der Filmemacher Harmony Korine mit ihm geführt hat, auf Englisch, für das Interview Magazine, hier nachzulesen. (Eggleston, vorzustellen in seinem großartigen southern drawl, über Cartier-Bressons Reaktion: «Er wollte einfach nicht verstehen, wie ich in Farbe arbeiten konnte. ‹Finden Sie das nicht lächerlich?›, fragte er mich.») Und zweitens gibt es auch ein kurzes Video-Interview, das der Filmemacher Michael Almereyda – Regisseur eines Dokumentarfilms über William Eggleston – im Auftrag des Whitney-Museum mit dem Fotografen geführt hat. Es geht darin ebenfalls um den Übergang von Schwarz-Weiß zu Farbe – darauf kommen alle, die sich mit Eggleston befassen, immer und immer wieder zurück. Eggleston sagt dazu im Interview, ich paraphrasiere: «Das war keine bewusste Entscheidung. Aber die Welt ist ja doch auch farbig.»