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Coronado/Les frères Adamov Loustal

Von Stefanie Diekmann

© Schreiber & Leser

 

In einem frühen Loustal-Comic, Les frères Adamov, findet sich das Panel, in dem die blonde Schönheit am Tresen unter den Blicken der Männer ihre Filmzeitschrift öffnet, um darin die Fotos der Stars zu betrachten. «Überfrorene Gesichter» steht unter diesem Panel, «so schön und so unerreichbar», und neben dem nächsten und übernächsten: «Idas Spiegelbild ist so kalt und schön wie die Bilder in der Zeitschrift. Mendel’s Café ist verzaubert, verhext von seinem eigenen Kinostar».

Das ist der Anfang der Geschichte, beinahe der Anfang, in Mendel’s Café, wo sich alle immer wieder begegnen, und es ist zugleich eine allegorische Szene, Loustal über Loustal, beinahe überdeutlich kommentiert, zumal sie eigentlich alles versammelt, woraus das Universum dieses Comic-Zeichners zusammengesetzt ist. Die Frauen (meistens blond), die Männer (meistens dunkel), die Blicke, das Begehren, das mal zirkuliert und mal ausgebremst wird, eine Ahnung von Noir, eine Ahnung von Glamour, vor allem aber die Gesichter, überfrorene, hinreißende, abweisende Gesichter, die nur dazu gemacht sind, sich an sie zu verlieren; das gilt für die Figuren der Comics ebenso wie für die Betrachter.

Man könnte so weit gehen zu erklären, dass Loustals Comics nichts wären ohne Loustals Gesichter, das heißt: nichts als ein Ensemble von Genre-Pastiches, wiederholte Ausflüge in die Welt der Hochstapler, Lebemänner, Berufsverbrecher, der Hotellobbys, Hinterzimmer, Kreuzfahrtschiffe etc., der Pläne, die nie ganz aufgehen, und des Verrats, der immer schon vorausgesetzt ist; keine schlechten Geschichten, aber auch nicht so, dass man von ihnen gefangen genommen wird. Was vielmehr gefangen nimmt, sind die Gesichter: Idas Gesicht in Les frères Adamov (1991), die Gesichter von Tom und Iris in Un garçon romantique (1994), das der Erbin in Le jolie mer de chine (1995), manche Damen in Mémoires avec dames (1989), die Tennisspielerin in Coeurs des sables (1985), Gwens Gesicht in Coronado (2009) und das Gesicht ihres Freundes, der bereits weiß, dass er sie nicht mehr wiederfinden wird.

Es ist beinahe überflüssig anzumerken, dass die Gesichter fast immer die gleichen sind, ebenso wie die Geschichten. Das Univers Loustal ist ein statisches, das von Band zu Band nur ein wenig umgebaut wird und neu staffiert mit Orten, Kostümen, die man der Welt des Hollywood-Kinos entnommen hat oder doch zuverlässig dort auffinden kann. 20er Jahre. 30er Jahre, Charleston-Kleider und Borsalino-Hüte, Autos mit offenem Verdeck, Einzelkabinen mit Seeblick, Bartresen, Separées und dazwischen verteilt die Figuren, von denen immer einige jung und sehr schön sind und manchmal einige alt und hässlich, manche ziemlich sinister und keine besonders gut, und von denen am Ende nie alle übrig bleiben, was indes nicht viel ausmacht, da auch die, die am Ende leben, dann meist wie tot sind: mortifiziert, wie erstarrt, so wie die kolorierte Welt, in die man sie gestellt hat.

Zu den Besonderheiten Loustals gehört es, dass die Farbe bei ihm nichts mit Belebung zu tun hat. Kolorieren heißt hier: versiegeln, plastinieren; er malt Schatten, aber nur um sie wie Objekte im Bild zu verteilen, und wer sich in der Kunstgeschichte auf die Suche nach Vorbildern für seine Gestalten machen wollte, fände sie letztlich weniger bei David Hockney, mit dem Loustal für die Pool- und Stadtlandschaften in New York – Miami (1990) verglichen worden ist, als bei Tamara de Lempicka und bei Fernand Léger, mit dem er auch die dicken, weichen Linien und die statischen Anordnungen teilt. Tatsächlich sind diese Comics in ihrer sorgfältig kultivierten Unbeweglichkeit der Fotografie viel näher als dem Film, auch wenn ihnen nichts von Fotorealismus anhaftet und stattdessen alle auf das Kino fixiert scheinen: der Zeichner, der von dort die Ausstattung und das Personal für seine Bildwelten bezieht; die Figuren, die ins Kino gehen, sich Filme ansehen, manchmal auch im Kino arbeiten oder von den Filmen erzählen, die sie sich selbst ausgedacht haben.

In Les frères Adamov jedenfalls ist das so, in Coronado auch. Die schöne Ida (Ida mit den Filmzeitschriften und dem überfrorenen Gesicht) arbeitet an der Kinokasse im Loew’s Delancey, das auch von den Brüdern Adamov besucht wird, die dann veranlassen, den Film anzuhalten und noch einmal Geld einzusammeln, bevor alle erfahren dürfen, wie die Geschichte diesmal ausgeht. (Das Szenario zu diesem Comic ist übrigens von Jerome Charyn geschrieben, der wiederum ein Buch über Hollywood publiziert hat, in dem das Kapitel über die alten Kinopaläste und ihre Ausstattung zu den interessanteren gehört.) In Coronado ist Film ein Interesse der Prostituierten, die einen Job in einer Videothek hat und außerdem ein Drehbuch in Arbeit, von dem sie gleich zu Beginn über sechs, sieben, acht Panels erzählt, um zwei Seiten später wieder davon anzufangen, als sie sich eigentlich um ihren Blow Job kümmern soll.

Coronado ist die Adaption einer Kurzgeschichte von Dennis Lehane, veröffentlicht in der Reihe Rivages/Casterman/Noir, in der seit 2008 Erzählungen von bekannten Krimi-Autoren in den Bearbeitungen bekannter Comic-Künstler veröffentlicht werden, darunter Donald Westlake/Lax (Pierre qui roule), Jim Thompson/Myles Hyman (Nuit de fureur) und gleich zwei Mal Lehane, dessen Shutter Island in der Verfilmung von Martin Scorsese derzeit im Kino zu sehen ist und schon vor über einem Jahr von Christian de Metter für die RCN-Reihe ins Bild gesetzt wurde. (Das ist auch, aber nicht nur, ein Projekt zum amerikanisch-französischen Kulturtransfer, Hardboiled und Neuvième Art, das Ergebnis meist ziemlich toll, übrigens auch in den Fällen, in denen die Autoren Franzosen sind oder die Zeichner aus Belgien. Ein rein männnliches Unternehmen ist es außerdem, aber das scheint sich in diesem Genre ohnehin von selbst zu verstehen.)

Von den bisherigen Geschichten des Univers Loustal unterscheidet sich Coronado (die Vorlage trägt den Titel Until Gwen) auf den ersten Blick durchaus, was viel damit zu tun hat, dass jede Idee von Glamour oder von Großer Welt aus diesem Comic entfernt ist. Das Verbrechen ist hier schäbig, die Stadt, in der es wohnt, erst recht; die Gangster sind schlecht angezogen und töten mit dem Spaten oder dem Schnappmesser; keine Borsalinos, auch keine Coupés, Maßanzüge, Hotellobbys, und selbst wenn es den Diamanten, hinter dem sie damals her waren, wirklich gibt, ist im Grunde klar, dass es nicht viel ändern wird, ihn zu finden, nicht in diesem Setting und nicht für diese Figuren, Vater und Sohn, was alles noch ein wenig schlimmer macht.

Damals: Das war, als sie den Diamanten beinahe in ihrem Besitz hatten, die Sache schief lief, der Sohn ins Gefängnis ging und dort nichts mehr von Gwen hörte. Vier Jahre später ist er wieder draußen, aber obwohl man ihn auf dem Parkplatz erwartet und es für eine Weile aussieht, als hätte damit eine Geschichte angefangen oder angefangen sich fortzusetzen, wird doch sehr bald deutlich, dass alles schon entschieden ist und nicht mehr viel zu tun bleibt. (Das ist der Status quo, nicht anders als in Loustals frères Adamov, Un garçon romantique etc., und auch in Lehanes Mystic River oder Gone Baby Gone, wo die Geschichten ebenfalls entschieden sind, bevor sie angefangen haben und den Figuren wenig Spielraum gegeben ist.) Der Sohn weiß das, darin unterscheidet er sich von manchen anderen Figuren; der Rest ist Warten und einige Vorkehrungen in den Momenten, in denen er nicht beobachtet wird.

Die meiste Zeit allerdings wird er beobachtet. Das ist so bei Loustal, hier wie in den meisten seiner Comics, wo die Handlungen zu einem wesentlichen Teil aus Blicken bestehen und die Beziehungen zwischen zwei Figuren aus dem Wissen um Blicke und aus dem Wissen, dass der andere weiß und sich auf die Blicke einzurichten vermag. In Loustals Gesichtern sitzen die Augen wie Kugeln aus gefärbtem Glas, weiß ummantelt und dunkel liniert, reglos, ausdruckslos, Augen wie aus einer Sammlung, aber noch in keinem Comic hat er sie so gemalt wie in Coronado und in keinem machen sie so große Angst. Einer sitzt und wartet, einer kommt und holt dich, einer sieht dich, einer kriegt dich, das ist die Prämisse jedes Alptraums und es ist zugleich die eines Comics, in dem alles schon passiert ist und keiner mit nach Coronado fährt.

 

Loustal/Dennis Lehane: Coronado (2009) | Loustal/Charyn: Les frères Adamov (1991)