labelportrait

Bildstörung

Von Ekkehard Knörer

 

Als das erst vor gut einem Jahr gegründete Label Bildstörung kürzlich Andrzej Zulawskis 1984 entstandenen Film Possession endlich auf DVD herausbrachte, war das nicht nur eine von vielen Fans des Kultfilms begeistert aufgenommene Tat. Noch schöner war eigentlich die Zusatzpointe, die Veröffentlichung zielsicher mitten in die Feierlichkeiten zum Jubiläum des Mauerfalls zu platzieren. Das passte so gut, weil das Werk zwar ein Berlin-, auch ein Mauerfilm ist, aber einer, der Politik gerade nicht zum Thema macht, sondern die immer wieder zentral ins Bild gesetzte Mauer (und nicht nur die) gründlich defiguriert.

Possession ist ein Werk der Besessenheit, wie der Titel sagt, aber als Serie von Manifestationen, die so massiv, so rasend, so exaltiert sind, dass man nach ihren Ursachen, Quellen, Untergründen zu fragen fast die Lust verliert: Psychologie hilft nicht weiter, Politik hilft nicht weiter, der Verweis auf Genre- oder Filmtradition-Zuordnungen hilft fast am wenigsten weiter. Es geht um die Überschreitung selbst, den Überschuss selbst, Filmemachen und Spielen und Erzählen als Produktion von Ausgeburten. In der berühmtesten Szene führt Isabelle Adjani ein wie von Grotowski inspiriertes Besessenheitsritual vor: sie schreit und schreit, klatscht das Einkaufsnetz an die Wand, die Kamera kreiselt und am Ende scheint der Film an dieser Stelle sich beinahe in aus Adjanis Körper strömende Flüssigkeit aufzulösen.

Possession ist verstörend, nicht nur der manifesten Überschreitungen wegen, sondern vor allem, weil er das Einordnen selbst durchkreuzt: Filmkunst mit Qualitätsschauspielern und liebevoll zusammengeglibbertem Ekelmonster. Delirantes Mysterienspiel als Ehedrama. Berlinfilm mit Mauer und Genre-Blut. Possession fällt heraus aus den Ordnungen – und passt damit bestens hinein ins Bildstörung-Programm. Nach nur sechs Veröffentlichungen ist das Profil des Labels bereits bestechend scharf konturiert: Es geht um auteurs des Abseitigen, um Filme zwischen Gore und Kunst, die das Abgründige suchen und vermessen, ohne auf stumpfen Splatter oder die Verkitschung von bloßen Überschreitungsgesten zu setzen.

Bildstörung hat es auf die films maudits abgesehen, jene Werke, die herausfallen aus dem Kanon des Mainstream wie auch der Kunst. Weil sie höchst gekonnt wirklich zu weit gehen, weil sie Dinge vor Augen stellen, die man lieber nicht sehen will, aber auch, weil sie in ihrer konsequenten Übertretung des guten Geschmacks (und ihrer davon nicht klar zu trennenden Neigung zur exploitation) noch die Einordnung unter den Begriff des «Gelungenen» oder «Misslungenen» alles andere als einfach machen.

Diesen räudigen Filmen widmet sich Bildstörung mit erstaunlicher Wertschätzung, Sorgfalt und Liebe. Der betriebene Aufwand ist, gerade für ein so kleines Label, enorm: Die Editionen sind philologisch, stets gibt es, mit Hang zum Exquisiten, Audiokommentare, Interviews, teils auf Extra-DVDs, und Booklets, die genau das auch sind: Büchlein mit teils klassischen, teils neuen Hintergrundtexten. Bildstörung, betrieben von Carsten Baiersdörfer und Alexander Beneke, macht schlicht mustergültige Editionen und zeigt dabei, was mit Kennerschaft und Engagement so alles möglich ist.

 

4 x Bildstörung

Walerian Borowczyk: La Bête (1975)

Erotisch-pornografische Märchengroteske von Borowczyk, der in seiner polnischen Heimat als Trickfilmer begann, nach Frankreich ins Exil ging und dann mit Werken wie Goto, Insel der Liebe, dem Berlinale-Großer-Preis-Gewinner Blanche (1971) und eben La Bête im europäischen Arthouse sein Unwesen trieb. Freud und fickende Pferde im französischen Landadel: La Bête lässt in seinem fröhlichen Dekadenz-Porträt keine Erektion aus, schickt die Braut Lucy mit der Polaroid in den Wald und ist insgesamt auf durchaus einzigartige Weise reizend pervers.

Narciso Ibáñez Serrador: Ein Kind zu töten (¿Quién puede matar a un niño?, 1976)

Bei strahlendem Sonnenlicht gerät ein junges Paar auf eine Insel, die ausschließlich von Kindern bevölkert scheint. Und die führen, merkt man bald, nichts Gutes im Schilde. Lieblingsfilm von Eli Roth, das ist kein Wunder, trotzdem sehr überzeugend darin, wie er konsequent zuende führt, was er mit allen Mitteln der Horrorkunst erfreulich leise beginnt. Im Kern ein kaum verhüllter Schwangerschafstraumafilm, im Ergebnis einer der herausragenden Schocker der 70er Jahre.

Agustí Villaronga: Im Glaskäfig (Tras el cristal, 1986)

Knallhart-kühle Racheanordnung der ganz finsteren Art: Ehemaliger KZ-Arzt sieht sich, nach einem Unfall, in eine Eiserne Lunge gesperrt und dann mit einem ehemaligen Opfer namens Angelo konfrontiert. Ein Film, der in strengen Kompositionen auf wirklich allen Ebenen Unwohlsein erzeugt. Auffällig – wie bei den meisten der Bildstörung-Filmen, insbesondere auch Bad Boy Bubby – die überpräzise Tonspur. Das unerbittliche Pumpen der Lungenmaschine ist unmittelbar alptrauminduzierend.

Rolf de Heer: Bad Boy Bubby (1993)

Ein junger Kaspar Hauser entkommt dem Mutterkerker durch Frischhaltefolien-Doppelmord an Mutter und – dann auch noch aufgetauchtem – Vater und tötet, befreit, in aller Unschuld draußen weiter. Trotzdem eine Art Bildungsroman, der überdies eine tragische Behindertenliebesgeschichte erzählt und zu allem Überfluss auf ein Happy End nicht verzichtet. Der Australier Rolf de Heer (Ten Canoes) ist heute ein geschätzter Festivalregisseur. Aber wehe, wehe, wenn ich auf den Anfang sehe.