filmwissenschaft

Im schwarzen Buchstabenbauch Über Abel Mark Nornes' Cinema Babel: Translating Global

Von Rembert Hüser

«chchchch». Wenn Mr. Quaker, der Austernkönig, bei Ernst Lubitsch 1919 auf der Couch seinen Mund aufmacht, gibt uns der Zwischentitel, der folgt, zu lesen, was man hört. Das ist witzig und das genaue Gegenteil des Verfahrens, das man vom Ton etwa in Fernsehfeatures kennt: «Einmal kommt der Detektiv auf die Schallplatten, die die Jugendlichen klauen, da sieht man einen bei den Schallplatten, wenn auch nicht klauen» (Farocki, Über die Arbeit mit Bildern im Fernsehen, Filmkritik 211, Juli 1974, S. 310 ). Nicht, dass Mr. Quaker nicht schlafen würde, das hatten wir schon verstanden, aber dass Lubitsch es dann doch noch einmal ganz genau wissen will, damit hatten wir nicht gerechnet.

Die Schrift, die wir bei ihm auf der Leinwand sehen, doppelt nichts, sondern verschiebt unsere Aufmerksamkeit. Das Schallwort, das als unerwartetes Wort auch optisch Vergnügen macht, zeigt, auf wieviel mehr Ebenen, als gemeinhin abgerufen, Schrift im Grunde operiert. Wenn «chchchch» an dieser Stelle etwas erklärt, dann nicht den Plot, sondern «Film». Und während acht kleine Buchstaben in Anführungszeichen noch schulbuchmäßig durchexerzieren, was vom Zwischentitel stets gefordert worden ist: fasse dich kurz, nimm Rücksicht auf die Wartenden, wird zugleich im Spiel mit der Zuschauererwartung die Faustregel unterlaufen, man solle jemandem nur etwas zu lesen geben, wenn jemand auch etwas zu sagen hat.

Was Die Austernprinzessin mit ein paar Buchstaben in großem Stil visualisiert, ist das Geräusch (das man auch aus dunklen Zuschauerräumen kennt). Zugleich zeigt der Film den Buzz des Schrift-im-Film-Diskurses zu seiner Zeit. Zum Ärger mit den Bildern war schon früh der Ärger mit der Schrift getreten. «Man gibt sich gar nicht einmal mehr die Mühe, bildmäßig zu gestalten. Da heißt es etwa: ‹Der Graf aber blieb allein auf seinen Gütern. Er konnte die Affaire mit der blonden Komtesse nicht vergessen …› Dann sehen wir vor einer durch Kerzenlicht erleuchteten Grunewald­villa einen gleichgültigen Herren stehen, der in den Apparat starrt. Würde man den Titel nicht lesen können, wäre das Bild an sich eine sinnlose Photo­graphie» (Paul Wegener, Die künstlerischen Möglichkeiten des Films, 1916). Anita Loos und John Emerson in einer Antwort auf Kritik an ihrem Text «Gebraucht viele Zwischentitel» in Photoplay von 1920: «Watch any movie audience and you will notice that after a good subtitle every one sits up and looks eagerly at the screen; for a good subtitle has the effect of clarifying action that is past and at the same time throwing forward the mind of the audience to the next scene, without giving it away beforehand» (New York Times, 29. Februar 1920).

Nun liefert uns Lubitsch mit seiner Buchstabenlautmalerei in Die Austernprinzessin mit der Privilegierung der Anführungszeichen (Mündlichkeit) über der Bedeutung nicht allein einen Crashkurs in Sachen Zwischentiteln. Er nutzt ihn zugleich, um sich über jene Zuschauer und Kritiker lustig machen zu können, die es bis heute in großer Zahl gibt, und die die Nase rümpfen, weil sie meinen, eigentlich schon viel weiter zu sein, und Zwischentitel im Film zum Einschlafen finden. Diejenigen, die es nicht leiden können, mit Schrift aus Träumen aufgeweckt zu werden, die knatschig werden, wenn sie sich eingestehen müssen, wie elementar filmisch dieser Schnitt vom Kopf des Amerikaners auf die deutsche Buchstabenabfolge tatsächlich ist, bekommen so von ihm als erste Therapie ein «Verschnarchtsein» zu lesen. Mit Bildern von Buchstaben lässt sich tatsächlich prima träumen, selbst wenn sie explizit zum Aufwachen auffordern. «Cesare!!!|| Hörst Du mich?!|| Cesare, ich rufe|| Dich –– ich|| Dr. Caligari ––– || Dein Herr ––|| erwache für|| Augenblicke aus​|| Deiner dunklen|| Nacht –––––» wäre ein Beispiel, nicht zuletzt, weil Hermann Warm zusammen mit den Malern Walter Reimann und Walter Röhrig Zwischentitel wie diesen eigens für den Film gemalt und geschnitten hatte.

Cinema Babel: Von Caligari und Kaligari

Abé Mark Nornes, Professor für Screen Arts and Cultures an der University of Michigan, hat in seinem spannenden Cinema Babel: Translating Global Cinema (UP Minnesota 2007) den Zwischentiteln im Frühen Kino und ihrer weltweiten Übersetzung ein eigenes Kapitel gewidmet. Er nimmt dort den Anruf Cesares in Caligari als Beispiel, um zwei Fliegen mit einer Klappe (Einstellung) zu schlagen. Einerseits möchte er für die nicht zu hintergehende Bildebene von Schrift im Film sensibilisieren, andererseits möchte er zeigen, dass das Problem der Übersetzung, das sich damit stellt, bis heute zentral für die Filmwahrnehmung ist. «These visual supplements … point to the protean complexity of meaning in the intertextual flow of the silent film. However, they were difficult (in other words, expensive) to reproduce. Not surprisingly, they were often the first layer of textuality stripped away in the course of translation. Filmmakers were probably concerned about this to some degree. Barry Salt finds an increase in the use of art titles in American films after World War I shut producers out of the European markets. … [O]rnamentation increased as the olume of translation decreased. This would explain why the illustrated titles decline again after the markets reopen» (104).

Die Analyse des Caligari-Titels selbst ist unnötig ärgerlich bei Nornes – der Rolltitel des Originals, der einer rein auf Bedeutung abzielenden verkürzenden Übersetzung ins Englische entgegen­gesetzt wird, ist an einer Stelle angehalten und in nur einem Standbild wiedergegeben, so dass sich für Leser, die den Film nicht kennen, die Frage stellt, woher die Übersetzer Teile ihrer genaueren Übersetzung überhaupt beziehen (das worst case scenario bei der Fragestellung: die eigenen Bilder belegen nicht, was der Text behauptet). Nornes' eigene Übersetzung des Originaltitels ins Englische, die die verloren­gegangene Komplexität zeigen soll, ist falsch, und bereits einleitend sind weder der englische noch der deutsche Titel des Films in der Bildlegende korrekt wiedergegeben: «Figure 10. Intertitles from The Cabinet of Caligari (Das Kabinett des Dr. Caligari, 1920)» (105). Nichtsdestotrotz ist Nornes Vorschlag von Das Cabinet des Dr. Caligari als möglichem Einsatzpunkt einer neuen Übersetzungsdiskussion äußerst produktiv. (Und Verschreibungen kommen schließlich in den allerbesten Familien vor.) «Caligaris Geburtstag sollte auch ein Gedenktag der deutschen Filmkritik sein. Der Titel dieses Films ist so eng verbunden mit dem Namen des Mannes, der Adorno zufolge die deutsche Filmkritik erst ‹aufs Niveau gebracht› hat, daß er mir manchmal wie eine Art Anagramm vorkommt. Dann passiert es, daß ich zitiere: Siegfried Cracauer, Von Kaligari bis Hitler … Selbst noch Untersuchungen, die die Prämissen der Kracauerschen Methode nicht teilen, tradieren seine Vorurteile gegen den Film, die ausschließlich inhaltlicher Art sind» (Frieda Grafe, Im Off, 159f.).

Es ist mittlerweile 39 Jahre her, dass Frieda Grafe in der Süddeutschen Zeitung «Doktor Caligari gegen Doktor Kracauer oder Die Errettung der ästhetischen Realität» veröffentlichte, und man beginnt sich zu fragen, wieviel besser die Filmwissenschaften an den Universitäten heutzutage sein könnten, hätte sie all die Jahre in den Seminaren mehr Texte von Frieda ­Grafe anstelle der obligatorischen Siegfried Kracauer-Lektüren zu lesen gegeben. «Ein französischer Romantheoretiker äußerte neulich seine Verwunderung darüber, daß es nach Jahrhunderten von Literatur immer noch Leser gebe, die glaubten, sich in dem Wort Bett zur Ruhe legen zu können» (­Grafe, 160). Was Frieda Grafe an Das ­Cabinet des Dr. Caligari interessiert, ist genau jene Arbeit im Atelier (im Studio, am Computer …) die Kracauer als «Rückzug in das Gehäuse des eigenen Inneren» zu diffamieren bestrebt war, «[d]as Kino als verlebendigte Zeichnung», «eine Möglichkeit des Kinos, die deshalb so selten realisiert wird, weil … der Dekor immer nur Vehikel ist. … Revolutionär waren am Caligari 1920 weder das Drehbuch noch die Dekors. Revolutionär war die Funktion des Dekors in dem jungen Medium» (Grafe, 162-3)

Ernst Lubitsch hatte rückblickend in einer autobiographischen Skizze aus seinem letzten Lebensjahr, das rein zufällig auch das Erscheinungsjahr von Von Caligari zu Hitler ist, die Zentralität des Dekors, das In-den-Vordergrund-Treten des Hintergrunds (Grafe) in Die Austernprinzessin als entscheidend für die Entwicklung des eigenen Stil thematisiert: «eine kurze Szene, die damals viel diskutiert wurde. Ein armer Mann mußte in der glanzvollen Empfangshalle eines Multimillionärs warten. Der Parkettfußboden hatte ein hochkompliziertes Muster. Nachdem er Stunden gewartet hatte, begann der arme Mann das Muster abzugehen, um seine Ungeduld und seine Demütigung zu vergessen» (Lubitsch, Rückblick vom 10. Juli 1947). Gingen wir dem nun heute selbst nach, kämen wir endlich vom Symptom zum Film.

Ornamente, Kasch, Blenden

Wir hatten Mr. Quaker die ganz Zeit über schlafen lassen. Sieht man jetzt wieder nach ihm, zeigt sich, dass er in der Austern­prinzessin die wachsende Eigendynamik des Designs in der Verschränkung von Zwischentitel-Typographie und Set-Design als eine Art Scharnier gewissermaßen im Auge hat. Mr. Quaker macht sein «chchchch» nämlich nicht nur zwischen der nackten Ossi Oswalda, die im Bad von einem Heer von Dienerinnen für ihren gerade frisch erstandenen, vermeintlichen Prinzen abgeschrubbt wird, und dem gelangweilten Josef, dem Freund Nuckis, der auf sie wartet und gerade mit dem Ornament zu spielen begonnen hat, um die Zeit totzuschlagen. Er macht es im Realfilm obendrein auch im Kasch einer der wenigen Kreisblenden des Films, die – selbst ein graphisches Element – die Fokussierung auf «das Entscheidende» betont. Einen großen, dicken, filmischen Punkt an dieser Stelle macht. Geht man von hier aus weiter zu Lubitschs Film Die Bergkatze von 1921, so ließe sich zeigen, dass dieses Prinzip in der Ironisierung von Wienes expressionistischem Pathos von Lubitsch massiv radikalisiert wird. Der Exzess des Kaschs in der Bergkatze, die unzähligen phantasievollen Masken, die über den Einstellungen dieses Films liegen, lässt die Logik der Zwischentitel in die einzelne Einstellung wandern. Eine jede Einstellung gibt sich als konstruiert, muss «gelesen» werden und wird zum rhythmischen Prinzip, in dem sich die Photographie tummeln darf. Was in der medienexternen Motivation der Anlage von Das Cabinet des Dr. Caligari, «die … vom Eindringen literarischer Intentionen in die bildenden Künste bestimmt ist» (Grafe, S. 162), noch zwangsläufig scheitern musste – «Wenn man Bewegung empfindet auf expressionistischen Bildern, liegt es am Rahmen, an der angehaltenen Bewegung, die ihn zu sprengen droht, an der Spannung zwischen Ruhe und Bewegung. Diese Malerei zu animieren kommt der Erledigung ihrer Basis gleich» (Grafe, ebd.) – wird in der spöttischen Militärparodie zum ideologiekritischen Feuerwerk. Das Innere der Buchstaben, das Wechselspiel von schwarzen und weißen Typographiemodulen und Blindstellen, von Punzen und Fleisch, das unsere Schrift prägt, wird nach außen gestülpt und umfängt die Photographie als abstrakte Klammer. «Im Kontext der Kulturgeschichte bewegter Bilder stellt die manuelle Konstruktion von Bildern im digitalen Film eine Rückkehr in präkinematische Praktiken des 19. Jahrhunderts dar, als Bilder mit der Hand bemalt und animiert wurden. Im Übergang zum 20. Jahrhundert mußte der Film diese handwerklichen Techniken an die Animation delegieren und sich selbst als aufnehmendes Medium definieren. Beim Eintritt in das digitale Zeitalter werden diese Techniken bei der Produktion eines Filmes wieder ganz selbstverständlich. Deswegen läßt sich der Film nicht mehr eindeutig von der Animation unterscheiden. Er ist keine indexikalische Medientechnologie mehr, sondern eine Unterart der Malerei» (Lev Manovich, Was ist digitaler Film?, 1997). Es ist ein Jammer, dass die Originalzwischentitel von Lubitsch nicht erhalten sind. Es würde mich aber nicht sehr wundern, wenn sie tatsächlich schlicht, als ganz unmalerische Druckbuchstaben gehalten gewesen wären. Das Bild der Schrift steckt ja längst schon im filmischen Bild. 

Abel Mark Nornes: Cinema Babel: Translating Global Cinema, University of Minnesota Press 2007