serien 2012

Buzzinga Zu The Big Bang Theory im Zeichen der Amy Farrah Fowler

Von Lukas Foerster

© CBS

 

Dass die Sitcom, ungefähr seit dem Ende von Friends, in einer tiefen Krise stecke, hört man immer wieder. Und mindestens ebenso oft hört man, dass sie sich aus dieser Krise höchstens durch Innovation, zum Beispiel durch Single-Camera-Formate im Stil von Modern Family oder The Office befreien könne. Dass deren am Reality TV geschulte Selbstreflexivität längst zur Gegenkonvention erstarrt ist, ist das eine. Das andere, dass die derzeit erfolgreichste (und vielleicht sogar: beste) Sitcom sich kein bisschen für all die Neuerungen der Konkurrenz interessiert: The Big Bang Theory ist eine durch und durch klassische Sitcom, die im Grunde nicht anders funktioniert, als I Love Lucy in den 50er-Jahren funktioniert hat. Sie besteht aus in sich abgeschlossenen, zwanzigminütigen Episoden, die mit sicherer Hand und ohne Extravaganzen auf kaum zehn Sets inszeniert sind; die Geschichten zielen eher auf Pointenakkumulation als auf Entwicklungen irgendwelcher Art ab; die Dialoge sind repetitiv und nicht frei von catch phrases (inzwischen allerdings wieder aus der Serie verschwunden: «Buzzinga») – und werden natürlich begleitet von Gelächter aus dem Off: «this show was filmed before a live studio audience».

Die Serie wird seit 2007 auf CBS ausgestrahlt (wo auch andere traditionsbewusste, allerdings deutlich weniger interessante Serien nach wie vor reüssieren: How I Met Your Mother ist inzwischen in der achten, Two and a Half Men sogar bereits in der zehnten Staffel angelangt), ist eine Kreation von Altmeister Chuck Lorre, und stellt vier befreundete Naturwissenschaftler mit Universitätskarrieren ins Zentrum. Zwei wohnen zusammen: Sheldon Cooper (Jim Parsons, siehe cargo 12), theoretischer Physiker, und Leonard Hofstadter (Johnny Galecki), Experimentalphysiker – ein kleiner, aber feiner Unterschied, auf den Sheldon viel Wert legt. Der (doktortitellose!) Weltraumingenieur Howard Wolowitz und der Astrophysiker Rajesh «Raj» Kootrappali sind mehr oder weniger auf Dauerbesuch in der WG – genau wie die unmittelbare Nachbarin Penny, eine verhinderte Schauspielerin, die provisorisch in der «Cheesecake Factory» kellnert und auf die es insbesondere Leonard abgesehen hat.

Die ersten Staffeln standen ganz im Zeichen des Kontrasts zwischen den vier Übernerds, die sich weniger gemäß ihrer intellektuellen und sonstigen (Comics, Star Wars) Interessen, als gemäß der Spezifik ihrer social awkwardness ausdifferenzieren – und der einsamen Vertreterin des etwas tumben, aber voll in den gesellschaftlichen Mainstream integrierten common sense. Sitcomhistorisch betrachtet ist diese Konstellation die Inversion einer wichtigen Grundfigur: In Cheers (1982–1993), der ersten großen Serie des goldenen NBC-Comedy-Zeitalters, drang die versponnene, neurotische Literaturwissenschaftlerin Diane Chambers noch genauso als ein (zu vermittelnder) Fremdkörper in die titelgebende mainstreamamerikanische Feierabendkneipe ein, wie Penny jetzt als ein (zu vermittelnder) Fremdkörper bei den Nerds auf dem Sofa sitzt. Schwer zu sagen, ob sich seither die Sitcom einmal quer durch die Gesellschaft oder die Gesellschaft einmal quer durch die Sitcom gearbeitet hat – zumindest haben die «Freaks and Geeks» den Laden längst und gründlich übernommen (warum im Laufe dieser Entwicklung die Geisteswissenschaften durch die Naturwissenschaften ersetzt wurden, ist eine ganz andere Frage).

 

© CBS

 

Gleichzeitig scheint die Sitcom an gesamtgesellschaftlicher Integrationskraft verloren zu haben. The Big Bang Theory macht sich zwar ein genaues und in Maßen differenziertes Bild von den Nerds, die die Serie portraitiert, ist da in Ansätzen sogar eine Milieustudie, die kulturelle Alternative aber, die Penny repräsentiert, bleibt unterbestimmt (und einen starken Begriff von Öffentlichkeit, der in Cheers durchaus wichtig war, gibt es ohnehin nicht in jenem sozial weitgehend homogenisierten Los Angeles, in dem die Serie spielt). Zur social comedy im eigentlichen Sinne wird The Big Bang Theory, darin Serien wie Seinfeld oder Frasier nicht unähnlich, nur, wenn die Elterngeneration ins Spiel kommt: Sheldons evangelikale Mutter, Rajs Eltern, die ihren krankhaft schüchternen Sohn von Indien aus zu verheiraten versuchen, Howards von einem nicht darstellbaren Außen her in die Serie hineinkrakeelende jüdische Mutterschreckschraube. Es geht im Verhältnis zu den Eltern immer um Brüche, nie um Reproduktion – außer eventuell im Fall der Familie Wolowitz, und auch da wird höchstens ein Unterdrückungszusammenhang verlängert.

Inzwischen stehen die Dinge allerdings ohnehin komplizierter. Die Geschlechterassymmetrie vom Beginn hat sich im Lauf der Staffeln abgeschwächt: Erweitert wurde das Ensemble um die Mikrobiologin Bernadette Maryann Rostenkowski und um die Neurobiologin Amy Farah Fowler (umwerfend: Mayim Bialik), beide vorderhand love interests, für Howard respektive Sheldon. Wo sich Bernadettes Rolle bislang allerdings tatsächlich darauf beschränkt, Howards Sexualneurosen in eher weniger interessante (weil eheliche) Bahnen zu lenken, entwickelt sich Amy, mit jeder Folge mehr, zum heimlichen Star der Serie – und zu Sheldons Nemesis: Während dessen Desinteresse am Geschlechtlichen sich nach wie vor bereits in der affektierten Aussprache des Wortes «coitus» niederschlägt, schaut sie begeistert und staunend, mit dem Blick der Naturwissenschaftlerin, die sie ist, auf die eigene Sexualität («Until I met you, my decisions were founded in logic and reason. And yet here I stand before you, 130 pounds of raging estrogen, longing to grab hold of your gluteus maximus, and make Shakespeare’s metaphorical beast with two backs.») Wie lange Sheldon sich diese hormonelle Zeitbombe mit seinem «relationship agreement» noch vom Leib halten kann, steht in den Sternen. Andererseits offenbart sich Amys eigentliches Begehren wohl eher in den Übersprungshandlungen, in die ihre zudringliche Freundschaft zu Penny andauernd zu entgleiten droht («There’s not a hair on my body I wouldn’t let this woman trim»).

Mit Amy hat die Serie jedenfalls jede Menge Eskalationspotential gewonnen. Und das hat sie auch nötig: Alle Figuren sind nicht nur übertrieben gezeichnet, sie sind auch gerade in den Übertreibungen interessant. Die (zumindest bislang, siehe oben) unumstrittene Hauptattraktion der Serie ist wohl auch deshalb Sheldon. Wie alle großen Sitcomschauspieler verkörpert sein Darsteller Jim Parsons nicht nur eine (vielleicht nicht nur optisch keatoneske) Figur, sondern auch eine Haltung zur Welt: eine durch und durch analytische, die von keinerlei intuitivem oder überliefertem Weltwissen, erst recht von keinen körperlichen Bedürfnissen irritiert wird. Die Welt ist für Sheldon einerseits eine Ansammlung absolut gleichwertiger «interesting facts», andererseits ein absolutes Rätsel, dem nur mit rigiden Regelwerken und vor allem einem absoluten Wiederholungszwang zu begegnen ist: «Wednesday is comic book night». Insofern ist Sheldon so etwas wie die perfekte Sitcomfigur: Die Aversion gegen Veränderung und Entwicklung, die das Genre als Ganzes ebenso prägt wie (fast) jede einzelne Serie, ist ihm zur zweiten Natur geworden – und wird gleichzeitig als neurotisch gebrandmarkt. The Big Bang Theory fällt, der konservativen Oberfläche und einigen eher grob gezeichneten Nebenfiguren zum Trotz, nicht hinter das Reflexionsniveau der Sitcom-Moderne der 90er Jahre (wiederum: Seinfeld, Frasier) zurück. Das narrative Equilibrium, das ältere Sitcoms scheinbar mühelos über Jahre hinweg aufrechtgehalten haben, hat seine sozialen und ideologischen Grundlagen verloren, ist nur noch als spielerisch ausgestellte Versuchsanordnung funktional.

 

Die ersten fünf Staffeln von The Big Bang Theory sind auf DVD erhältlich, derzeit läuft die sechste