kurzfilmtage oberhausen 2016

6. Mai 2016

Kurzfilmtage Oberhausen

Von Ekkehard Knörer

Shock of Time

© Sun Xun

 

Der zweite, mein letzter Tag

Die Kurzfilmtage haben schon 2007 Shock of Time, einen Film von Sun Xun gezeigt. Da hatte dieser gerade sein Studium abgeschlossen und sein eigenes Studio, Pi Animation, gegründet, mit dem er seine Filme bis heute produziert. Seitdem ging vieles ganz schnell, heute reißen sich die Galerien des Westens um seine Arbeiten, die die Grenzen des Animationsfilms bald hinter sich ließen. Magician Party and Dead Crow von 2013 ist in 3D und integriert eine Installation, für die Sun Xun und sein Team ein halbes Jahr in einem Ausstellungsraum verbrachten, zurück in den Film, der Animation zeigt, aber dazwischen auch das Team, das Tierskulpturen im Raum an Fäden und Seilen bewegt.

An den ersten Filmen fällt auf: Alles vibriert – die Schrift, die Tuschezeichnungen, die Hintergründe. Es gibt keinen Stillstand. In Shock of Time ist der Hintergrund eine endlose Serie von Zeitungsartikeln aus den 50er und 60er Jahren (das lese ich nach, das erkenne ich nicht, ich gleite ohnehin nur an den Oberflächen dieser an Lesbarem und für mich Unlesbarem reichen Filme entlang); darauf, darüber, darin hoch virtuose Tuschefiguren, ein kopfloser Magier vor allem, eine Figur, die in den Filmen immer wieder auftaucht. «The only legal liar», heißt es einmal, und in Magician Party and Dead Crow gibt es ein Monument für die Lüge (es ist ein Film über Monumente und das Erinnern, aber in gewisser Weise sind sie das mutmaßlich alle), und dieses Monument zeigt eine alte Filmkamera.

Der Magier ist der Herr der Geschichte, er lügt, ist aber auch ein Vertreter einer anderen Wahrheit in einem Land, in dem die offizielle Geschichte immer auch Lüge ist, oder zumindest Verschweigen. Klare Botschaften sind in den Filmen von Sun Xun schwer zu entdecken, für mein Auge, über das Auge des Kenners kann ich es naturgemäß gar nicht sagen. Ich weiß nicht, was all die Tiere da tun, Moskitos, Schweine, ein Löwe, der als weißer Fleck einmal majestätisch durch das Bild marschiert. Überhaupt Flecken, wachsende, schrumpfende, anderes, dann wieder sich selbst verschlingende Flecken, hell oder schwarz, Tusche, oft sieht das aus wie in ganz klassischer chinesischer Kalligrafie, oft kann ich gar nichts anderes als sehen und denken und still sagen: Mein Gott, ist das schön.

Es ist schön, in oft klassischer Manier. Dann: Brennende Köpfe, rotes Lodern. Maschinen, ein Baukran. Kohlezeichnungen, bei denen als Nacheffekt (das erinnert an William Kentridge) die Bewegung als Wischspur noch wenn sie vorbei ist im Bild bleibt. Reste, die dann natürlich auch wieder verschwinden. Ein endloser Strom, in dem, wie gesagt, alles vibriert, dazu die wuchtige, industrielle Musik von Jin Shan. Später dann aber auch Realelemente, zwischen die schönen Zeichnungen von Menschen, Lügen und Tieren Stücke Realanimation, Hände, die manipulieren, dabei immer noch Tiere, einer Hand entsprungene langbeinige Moskitos.

Später, im Publikumsgespräch, sagt Sun Xun: Animation ist so langweilig in der Herstellung, darum suche ich ständig nach neuen Formen. Das ist der Vorteil einer solchen Retrospektive: Man sieht, dass man ihn tatsächlich nicht ausrechnen kann. Man sieht, wie das Vibrieren verschwindet, das längste, wuchtigste, sinfonischste Werk 21KE ist in einem viel statischeren Stil gezeichnet, eine halbe Stunde fast lang, und im Abspann eine große Zahl von Animationskünstlern. In den ersten, kürzeren Filmen hat Sun Xun so gut wie alles selber gemacht, die Animation, den Schnitt, sowieso die Regie. Er öffnet sich zusehendes für Kooperationen, für andere Materialien, in Richtung Kunst, Installation, lässt Sachen hinter sich, greift sie wieder auf, neben wiederkehrenden Motiven steht stets etwas, das es in den Werken davor noch nicht gab.

Zurück lässt mich dieses aus sechs Filmen bestehende Programm mit einem paradoxen Gefühl: Ich bin überwältigt, von 21KE auch ein bisschen erschlagen; aber ich habe zugleich den Eindruck, ich habe nur die Oberfläche gesehen, muss zurücksteigen in dieses Werk und weiter sehen, um mehr festhalten zu können. So viel ist mir beim Sehen durch die Sinne gegangen, so viel davon vor dem Ansturm der nächsten Eindrücke aber gleich wieder verrauscht und vergangen.

***

Neben Sun Xun konnte gestern wenig bestehen. Deutscher Wettbewerb 2. Ein Studienfilm, Durch, von Jelena Markovic, entstanden an der HfbK (der Kunsthochschule in Hamburg), Mentorin: Angela Schanelec. Es ist ein unfertiger Film, die Nähe zu Schanelec ist unübersehbar, ist das gut, ist das schlecht, eher schlecht, weil es sich hier doch ziemlich epigonal anfühlt. Zwei Einstellungen aber bleiben. Die eine: die Protagonistin, eine junge Frau, und ein Mann, die sich küssen, aber so kadriert, dass man ganz oben im Bild nur gerade noch die Münder sieht, sonst aber: Hälse, entblößt, diese Dezentrierung macht das Bild interessant. Und dann eine grandiose Fahrt. Es schneit, die Protagonistin geht auf der Straße auf die Kamera zu, die zurückweicht. Hier ist der Kopf von Anfang an eher am unteren Bildrand, dann bewegt sich die Kamera nach oben, Schritt für Schritt scheint der Kopf wegzusinken, es dauert recht lang, aber am Ende ist er tatsächlich weg, da schwenkt die Kamera auf ein Gitter, eine Sportplatzbegrenzung, nach links.

Zuletzt – es gibt sehr viele Reihen, kleine Programme, Profile, dies noch und das in Oberhausen – eine Präsentation neuerer Arbeiten aus dem Programm des Verleihs LUX, entstanden aus der London Film-makers' Co-operative. Sehr schön David Leisters sehr eigenhändige Dekonstruktion eines Mission-Impossible-Trailers, auseinandergenommen, wieder zusammengesetzt, ein Experimentalfilm-Found-Footage-Remake, das den Drive des Originals in seinem ganz anderen Indiom wahrt. Die zwei längeren Arbeiten, von Gail Pickering und James Richards, habe ich nicht verstanden, das war mir beim Sehen schon klar, beim Nachlesen im Programmheft ist es mir das nun erst recht. War aber nicht schlimm, ich war der Bilder nach den vielen Filmen und in der Hitze schon müde, gestern war es wirklich sommerlich warm, und es war sehr angenehm, dass beide Filme, die etwas Kreisendes hatten, die mir mit Stimmen und Musik etwas flüsterten, oder jedenfalls tat das der von Gail Pickering, dass diese Filme mir also erlaubten, ein wenig in ihnen zu versinken, dass sie kein Verstehen von mir wollten, so jedenfalls schien es mir. Und so verstand ich nicht und mochte es doch.

Dann stand ich noch draußen, sprach mit Bekannten und Freunden, warm war es vor der Lichtburg, und voll und hell in der Nacht, und damit waren die Kurzfilmtage für mich schon wieder vorbei.

Erster Tag

Wer braucht Diskussionen über Filmhochschulen und wozu? Das war nicht ganz die Frage. Aber was sollten Kathrin Resetarits, Dominik Graf und Hartmut Bitomsky, die alle an Filmhochschulen unterrichten, zu sagen haben zur eigentlichen Überschrift über die Podiumsdiskussion im Festivalspace morgens um zehn: «Wer braucht Filmhochschulen und wozu?» Dazu ist schon alles gesagt, wenn nicht mehr. Also ging es vernünftigerweise eher um Kritik daran, wie es an vielen Hochschulen zugeht. Man hörte die Klage, dass es zu viele Filmhochschulen gibt, die zu viele Leute ausbilden, für die es zu wenige Jobs gibt. Vor allem gab es Kritik am Markt, an dem die Studierenden nach Abschluss reüssieren soll – einem Markt, der kein Markt ist, sondern eine Filmförder- und Fernsehsenderlandschaft, in der nicht die Lust am Neuen regiert, sondern der Druck, der Konvention zu gehorchen.

Dominik Graf sagte viele vernünftige Dinge, sang sein vertrautes Lied von der tödlichen Schere zwischen Mainstream und Arthouse und wünschte einmal mehr das Hybride. Die Studierenden sind, wenn sie anfangen, nicht, was sie waren, meinte Kathrin Resetarits: Sie kommen oft ohne filmhistorisches Wissen. Zwar sei das alles im Netz heute verfügbar, aber anders als früher werde man nicht mehr im Fernsehen auf alles Mögliche auch gestoßen. Die von ihr eingeführte Figur des Originalgenies aus der Steiermark, das aus Eigensinn alles anders macht, gefiel auch Dominik Graf. Nur dass es diese Figur, meinte sie, heute gar nicht mehr gibt. Einigen konnte man sich darauf, dass auf den Ebenen, auf denen über die Vergabe von Geldern, um grünes Licht für Produktionen entschieden wird, oft die schiere künstlerische Inkompetenz herrscht. Besonders in Österreich. Wobei da nicht mal der Anschein einer Filmindustrie hergestellt werden könne, das Land sei zu klein, so Resetarits, der Druck Richtung Konvention nicht so groß. Andererseits klang es bei ihr immer wieder so, als kämpfe sie gegen die Regeln der Drehbuch-Dramaturgien in Büchern und Köpfen einen anstrengenden Kampf.

Sollten die Studierenden mehr bocken, oder die Lehrenden, sollten die Lehrenden, fragte eine Studierende, den Studierenden das Bocken beibringen oder jedenfalls Widerstand provozieren? Oder sind die Studierenden gar nicht so brav, wie hier und da insinuiert? Soll man die Redakteure der Sender früh an die Hochschulen lassen, oder besser gar nicht? Ist der Konkurrenzkampf von Anfang an groß, herrscht das neoliberale Denken im Innern der Institution, gibt es noch Freiraum für Misslingen?

Radikalpragmatisch gab sich Hartmut Bitomsky. Interessant wäre gewesen, von ihm über sein Scheitern als Direktor der DFFB etwas zu erfahren, aber dazu kein Wort. Er saß da, in sich ruhend. Man spürt kaum einen Rest mehr der Utopien an ihm, für die der erste DFFB-Jahrgang, dessen Teil er war, einst, in ganz anderen Zeiten, doch stand. Da ist einer durch die Institutionen marschiert und zur Erkenntnis gelangt, dass man gegen die Institution nicht grundsätzlich opponieren kann, weil sich in ihr das Denken der Zeit, in der man lebt, zu Gesetzen, Regeln, zu Denk- und Undenkbarkeiten verfestigt. Er verteidigte «das System» nicht, stellte nur fest: Wir gehören alle dazu.

Gewiss sei es schon gut, wenn sich in einem Jahrgang drei richtig gute Studierende finden; auch die können noch an sich und den Umständen scheitern, das wisse man nie, mit «Kollateralschäden» dieser Art müsse man immer und überalll rechnen. Bitomsky rät: warten können, weitermachen, und sei es am Laptop, den inneren Zeithorizont fürs Erreichen der Ziele nach Abschluss des Studiums auf zehn Jahre stellen. Aber auch diejenigen, die nicht im engeren Sinn beim Film Erfolg oder Anstellung finden, hätten doch etwas gelernt, die Zeit nicht vertan, es könnten immerhin filmbeschlagene Kulturpolitiker oder Redenschreiber aus ihnen werden. The kids are alright? So «alright», darf man wohl schließen, wie es unter den gegebenen Umständen eben geht. Umstände übrigens, zu denen gehört, dass Bitomsky selbst schon lang keinen Film mehr gemacht hat.

***

Vier Filme der Norwegerin Anne Haugsgjerd, sie macht seit den Achtzigern Filme, selten, mit langen Pausen dazwischen. Von den Filmen in diesem Programmje ähneln je zwei einander und unterscheiden sich stark von den andern. Leider hat mich weder die eine noch die andere Sorte überzeugt. Sorte eins, Film eins, I wanna be loved by you: Elvis-Musik, Marilyn-Motive, Schatten des Vaters, Fifties-Pastiche, ernste und komische Töne. Film zwei, Love me tender: Zwei Mädchen, zwei Jungs (mit Motorrad), und Anna, die außen vor bleibt. Sorte zwei, Film eins: Videotagebuch einer autobiografischen Reise nach Gran Canaria, auf der Suche nach Liebe. Dieser und jener taucht auf, viel Ich auf der Tonspur, aber zu einer interessanten Form (oder, um ehrlich zu sein, einem interessanten Gedanken) führt das nicht. Film zwei: Porträt von Haugsgjerds Freundin Aileen, eine Malerin, die sich in die Normandie zurückgezogen hat, sich an ihre Zeit als Animierdame erinnert, Akte malt, von einem Galeristen in London brüsk zurückgewiesen wird. Ich muss einfach feststellen: Für mich ist das nichts.

***

Internationaler Wettbewerb, 2. Politische Filme, ästhetisch gemacht. Von Film zu Film größeres Unbehagen. Alle suchen indirekte Angänge zu ihren Sujets. Was manchmal zur Folge hat – etwa in Tierra quemada –, dass unter der slicken Oberfläche, auf der hier Nebelschwaden wunderschön durch Naturlandschaft treiben, das eigentliche Thema (ein Brand, der die Gegend zerstört hat) buchstäblich verschwindet und dann durch Textzeilen vor Schwarzbild nachträglich eingeholt werden muss. Aus Dias und Fotos rekonstruiert Gonzalo Egurza in Schuld (Titel im Original deutsch, wegen des Doppelsinns guilt/debt) die Geschichte eines chilenischen Aktivistenpaars aus den siebziger Jahren - allerdings geht das nicht ohne reichlich Benjamin-Zitate vonstatten, die diese Geschichte eher verdecken als Zugänge zu ihr öffnen. Tulapop Saenjaroen und Anoche Suwichakornpong konfrontieren zwei Reden bei einem Staatsbesuch in den siebziger Jahren – die eine vom singapurischen, die andere vom thailändischen Regierungschef – mit recht weerasethakulschen Bildern von Gängen durch Stadt und Natur: Es ist, wie bei den meisten der Filme in diesem Programm, die Frage, was sich in der Kluft zwischen dem einen und dem anderen, der Politik und der Kunst, abspielt, denn zueinander finden sie nicht: Weil es hier wie in fast allen Fällen vage bleibt, spürt man mehr den Willen zur Kunst als eine Dringlichkeit, mit der zu einem Gegenstand etwas gesagt werden müsste. Richtig schlimm William E. Jones' A Great Way of Life, der rotstichige Kriegsbilder mit Radiowerbung unterlegt und damit nicht im mindesten eine Haltung zur Frage entwickelt, wie sich das eine zum anderen verhält. So einfach kann man es sich machen. Nur sollte man nicht.

***

Am Abend bin ich den Kurzfilmtagen untreu geworden und nach Essen gefahren, S-Bahn, Tram: PACT in der Zeche Zollverein. Hier ist die dritte Vorstellung der neuen Performance von Forced Entertainment zu sehen, die ihrem Namen selten so viel Ehre gemacht haben wie bei Real Magic. Simple Konstellation im Halbrund. Ein Mikro, ein Stuhl, drei Pappkartonschilder, Kunstrasen, eine Perücke, eine Clownshose, ein Jackett, sechs Neonleuchtröhren und drei knallgelbe Kükenkostüme. Dazu die Tonspur, auf der es klatscht, johlt, dazwischen Fanfaren- und Streichermusik. Eine Quizshow, in der Claire, Richard und Jerry die Rollen durchwechseln. Eine(r) denkt sich ein Wort, eine(r) muss es raten, eine(r) moderiert dieses Quiz. Drei zu ratende Wörter: Caravan, Sausage, Algebra. Drei falsch geratene Wörter: Electricity, Hole, Money. Sie finden nicht zueinander. Nie, den ganzen Abend nicht, an dem sich diese eine Quizrunde ins fast Unendliche wiederholt. Auch dann nicht, wenn das Wort vorgesagt wird. Mal sind die Raterunden schnell, mal langsam. Mal tragisch, mal komisch. Mal tragikomisch. Mal mit viel Pathos, mal als Farce. Nie ist das Gleiche dasselbe. Was Runde für Runde geschieht, unterscheidet sich massiv oder in Nuancen. Gelegentlich kommt ein Wort, eine Wendung dazu, es wird herumgeritten auf Hole und auf Money, aber das meiste, was als Erweiterung auftaucht, verschwindet auch wieder. Die absurde Konstellation mit ihren wenigen Elementen ist eine ganze Welt, aus der sich so ziemlich alles, was man an Gefühlen und Regungen haben kann, herauskitzeln lässt: Hoffnung, Verzweiflung, Gleichgültigkeit, Dringlichkeit, Heiterkeit, Niedergeschlagenheit, Aufgekratztheit, Ermüdung, oder das alles natürlich gemischt, mehr von diesem, mehr von jenem. Das heißt: Nichts bleibt sich gleich. Nicht die Identitäten, nicht die Verhältnisse der Personen zueinander, nicht einmal die Wörter, die immer wieder von ihrem semantischen Sinn wegoszillieren. Zwischendurch ein abgrundtief trauriger Tanz in den Kükenkostümen. Absurdes Theater, Zwangsunterhaltung. Leerer Ausgang. Fülle des Unsinns.

***

Ich nehme die Tram und die S-Bahn zurück. Der Tag war sehr warm, man kam im großen Saal der Lichtburg ins Schwitzen. Am Abend um elf ist die Luft noch ganz mild. Frühsommerahnung in Oberhausen.

Vorabend

Ich bin nicht in Bielefeld ausgestiegen, nicht in Bochum, und erst recht nicht in Hamm. Umstieg in Essen, dahin fahre ich heute Abend für einen Ausflug zu Forced Entertainment zurück. Vor dem Bahnhof in Oberhausen steht ein Truck, der als geschlossene Tribüne durch die Stadt fahren wird, täglich um sechs, und man blickt durch eine Glasscheibe nach draußen, wo die Stadt und in ihr aber doch auch, wenn ich recht verstehe, Inszeniertes passiert. Ein Rimini-Protokoll-Projekt, für das die Kurzfilmtage mit dem Theater der Stadt kooperieren. Wie es aussieht, passt das weder heute noch morgen in meinen Zeitplan. Check-In im NH-Hotel, zentral gelegen, anders als das Tryp, das ich vom letzten Jahr kenne, das ist weiter draußen in unmittelbarer Nähe der spätpostmodernen Riesenmall CentrO. Hier im NH ist das Gratis-W-Lan unfassbar langsam, sie wollen, dass man eine Premiumvariante erwirbt. Kann sein, sie kriegen mich klein.

Akkreditiert, Essensmarken erhalten, auf Facebook empfiehlt Lukas Sun Xun, ihm ist eine der kleinen Retrospektiven gewidmet. Kurz angestellt, Tickets besorgt. Auf dem Platz in der Nähe des Festivalkinos Lichtburg, das im Stadtzentrum liegt, tobt das Winzerfest. Tobt nur ein bisschen. Sonnenschein, Frühling, Blasmusik. Vatertag, aber mir begegnen zum Glück keine Väter. Neben mir auf der Bank in der Sonne ein älteres Paar, sie erklärt, dass an einen Hähnchenspieß unter keinen Umständen Knoblauch gehört. Es ist ein Paar aus der Stadt, man kann, weil das Festival ein einmal im Jahr einfliegender Fremdkörper ist, dessen Besucher und die Oberhausen-Bewohner von Habitus und Physiognomie in aller Regel gut unterscheiden.

Für Daniel Schranz, den ersten CDU-Oberürgermeister der Stadt seit sechzig Jahren, ist es das erste Mal, dass er die Kurzfilmtage eröffnet. Er tut es mit Gusto. Dann Christina Kampmann, SPD-Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur, die Jan Böhmermann energisch gegen Erdogan und Angela Merkel verteidigt. Mehrfach wird Hilmar Hoffmann, der Gründer der Kurzfilmtage zitiert. Lars Henrik Gass zitiert ihn nicht, kann aber Grüße ausrichten. Auf der Bühne steht ein Flipchart. Es steht im Zentrum von Gass' Eröffnungsredenperformance, die ein bisschen wirr und nicht zuletzt deshalb ziemlich charmant ist. Gegen WDR, Fernsehen überhaupt, Filmförderung geht es. Hohe Summen werden auf dem Flipchart notiert, Briefe und Zeitungsausschnitte befestigt, Beifall für einen Förster, der für Bereiche plädiert, in denen Wildwuchs erlaubt ist. Zehn Prozent der 250 Millionen in deutschen Filmfördertöpfen aus den Händen von Fernsehen, Wirtschafts- und Regionalrücksichten nehmen und in die Hände jener geben, die nach ästhetischen Kriterien entscheiden: Dies ist des Festivalleiters bescheidener Vorschlag. Im Katalog noch ein Grußwort von Monika Grütters, das mit Adorno beginnt und am Ende in der Oscar-Nominierung das größte Glück sieht. So geht es wohl zu im Hirn der Kulturbürokratin.

In vier Filmen der Blick auf die verschiedenen Reihen. Das Musikvideo zu CeeLo Greens Robin Williams spielt auf der Google-Startseite, in flotter Folge ploppen zu den Textzeilen die Google-Fundstellen auf und gleich wieder weg. Das Schönste daran: Man sieht immer wieder, wie einzelne Zeilen des Songs als Titel anderer Songs bei Google erscheinen. Alle ist nicht nur schon einmal gesagt, sondern auch schon gesungen. Dazwischen auch Schmerzmittelwerbung. Nächster Film aus dem Lateinamerikaprogramm: Eine Straßenprozession oder dergleichen, Menschengedränge, Füße auf leeren Wasserplastikflaschen, man versteht nicht ganz, was da passiert, zumal der O-Ton durch schroffe Musik ersetzt ist. Dann etwas von Sun Xun, eine Animation, die von näher oder ferner an Kentridge erinnert, Bewegungen, die als Spur im Bild bleiben, Bagger, Feuerfontänen statt Köpfen, Musik dazu, die ins Dräuend-Erhabene zielt. Einmal steht im animierten Bild ein animierter Fernseher herum, in dem realer Film läuft. Auf die anderen Sun-Xun-Filme bin ich gespannt. Nicht so traurig dagegen bin ich, jedenfalls nach Hyper Crisis, dass mir durch Abreise die kleine Josef-Dabernig-Retro entgeht. In postsozialistischen armenischen Räumen begegnen sich zu Verdi-Musik postsozialistisch speisende Menschen und ein zu CAN-Musik im beige-braun geringelten Kapuzenpullover. Ich hoffe für die nächsten Tage auf Witze, die sich mir besser erschließen.

 

© cargo